Die älteste Videothek der Welt: Filme, die niemand sehen will
In Kassel befindet sich die älteste Videothek der Welt. Filme leiht dort aber fast niemand mehr aus. Wichtiger ist das Festival demnächst.
Hochdruckgebiete sind für Videotheken von jeher schlecht fürs Geschäft. Für den Film-Shop ist die Wetterlage aber erst mal egal. Denn eine richtige Videothek ist er nicht mehr. Man kann sich zwar noch DVDs ausleihen, aber das macht kaum noch jemand.
„Manchmal bin ich froh, wenn überhaupt jemand kommt“, sagt Harald Schwabe, dienstältester und einziger Mitarbeiter. Meist seien es Filmfans, Neugierige oder Touristen, die kommen, um sich die älteste Videothek der Welt anzuschauen, als die der Film-Shop offiziell im Guinnessbuch der Rekorde gelistet ist.
1975 hat seine Geschichte an einem anderen Standort begonnen. Drei Jahre später zog Betreiber Eckhard „Ecki“ Baum mit seinen Super-8-Spielfilmen in die Erzbergerstraße 12. Dann kamen die Videokassette, die DVD und Blu-Ray. Eckhard Baum blieb. Bis er 2017 ankündigte, er wolle in Rente gehen. Und da der Verein Randfilm einen Vereinssitz suchte und den Laden nicht sterben lassen wollte, sammelte er Geld und übernahm den Film-Shop.
Die älteste Videothek der Welt mit eigenem Kino für abseitige Filme weit weg vom Mainstream ist ein Ort für Filmanhänger, Retrofans und eben auch Nichtcineasten: Bei Mitarbeiter Harald Schwabe muss man sich nicht dafür schämen, nach einer Actionkomödie wie „Men in Black“ zu fragen. Eher Nischiges wird dort vom 21. bis 24. September beim 10. Randfilmfest gezeigt werden.
Faible für abseitige Filme
Zwar sind die Randfilmer eher für ihr Faible für abseitige Filme bekannt als für ihr handwerkliches Geschick, doch ein bisschen Umbau kriegen auch „Filmnerds“ hin. Ein paar Wände wurden entfernt, ein bisschen frische Farbe an die Wand, das Kiez-Kino eingerichtet, ein dunkler Raum im Herzen des Film-Shops, wo etwa zwei Dutzend Stühle Platz finden. Zu viel wollten sie nicht verändern. „Die alte Patina sollte erhalten bleiben, da stehen die Leute ja auch drauf“, sagt Randfilm-Mitglied Frank Erftemeier.
Harald Schwabe ist der Experte für das Vorher-Nachher. Der 52-Jährige war erst Kunde, vor 25 Jahren stellte Eckhard Baum ihn ein: „Jetzt haben mich die Leute von Randfilm quasi geerbt.“ Er schält sich hinter der Theke mit Glasauslage hervor. Von seinem T-Shirt glotzt ein mürrischer Pinguin. „Hier war alles verwinkelter und noch viel voller.“ Hinter dem Kiez-Kino und dem Thekenraum sind in schmalen Gängen Filme thematisch oder nach Regisseuren geordnet. Handbeschriebene Pappstreifen trennen „Zombie“ von „Slasher“, „Frankenstein“ von „SiFi-Horror“.
Alte VHS-Hüllen dienen als Regale. Man muss ein bisschen Geduld haben beim Suchen oder man fragt Schwabe. Er hat zwar nicht alle 20.000 Titel im Kopf, aber die meisten. Es gibt Computer, Neukunden werden aber per Karteikarte aufgenommen. Heute ist kein Kärtchen hinzugekommen, im Film-Shop ist trotzdem was los. „Wer hat denn Zeit, dabei zu sein, wenn die Technik kommt?“ oder: „Würstchen und Brötchen besorgen wir im Großmarkt.“
Dass Bratwurst und Cineastik eng miteinander verzahnt sind, liegt nicht nur am nordhessischen Setting, sondern vor allem daran, dass die Vorbereitungen für das jährliche Filmfestival „Randfilm“ in den letzten Zügen sind. Bei Bier, Limo und Chips sitzt eine gute Handvoll Randfilmmitglieder auf Stühlen und Bänken im Eingangsbereich des Film-Shop und geht Listen durch. „Wir zeigen Filme, die keiner sehen will“, sagt Volker Beller. Abseitiges, was vielleicht mal auf dem Index war und wieder verfügbar ist, irgendein Film, der plötzlich in einschlägigen Internetforen gehypt wird. Die Wege, wie Filme es bei Randfilm in den Vorführraum schaffen, sind vielseitig.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Harald Schwabe lehnt auf der Theke, beißt in einen Schokoriegel und schweigt dazu. Er sei „mehr Mainstream als Randfilm“ sagt er, Lieblingsfilm „Braveheart“. Hinter ihm lächelt Eckhard Baum vielfach von der Wand, eingerahmt oder in Klarsichthülle gepackt, immer mit Prominenten an seiner Seite. Udo Lindenberg, Karl Dall, Fats Domino oder das ehemalige Pornosternchen Sibylle Rauch, letztere beide hat Baum gemanagt. Sein ehemaliger Laden zählt mittlerweile mehrere Superlative. Der Film-Shop ist nicht nur die „weltälteste“, sondern auch die letzte Videothek Kassels und beherbergt das kleinste Kino der Stadt.
Draußen wird es dunkel und ein bisschen kühler. Langsam fängt die Luft im Film-Shop wieder an zu zirkulieren. Und dann ist da doch noch ein besonderer Geruch, einer den nur ganz feine Nasen ausmachen: ein zarter Hauch von kaltem Zigarettenrauch, der sich in über 40 Jahren zwischen dem Inventar festgesetzt hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!