piwik no script img

Son Rompe Pera: Mexikos populärste Friedhofskapelle

Unter der Marimba, dem hölzernen Xylophon ihres Vaters, sind die Brüder Gama groß geworden. Zum Tag der Toten spielen sie mit Vater „Batuco“ Songs für die Verstorbenen – auf Wunsch ihrer Verwandten. Daran hat sich trotz ihres Erfolges nichts geändert

Künstlerbuch „BUCHENWALD: Erzählung eines Segelschiffes“ Foto: Fred Hüning

Von Knut Henkel

Panteón Municipal de Río Hondo heißt der Friedhof, wo alles begann. Es ist der nächste größere aus Perspektive von Naucalpan, dem im Westen von Mexiko-Stadt liegenden Stadtviertel, aus dem die Brüder Gama stammen. „Zwischen Ende Oktober und dem 5., 6. oder auch 7. November waren wir drei eigentlich immer mit unserem Dad auf dem Friedhof von Río Hondo.

Die Lieblingssongs der Toten

„Erst allein, dann immer öfter mit uns, hat er dort rund um den Tag der Toten die Lieblingssongs der Verstorbenen für die lebenden Angehörigen zwischen den Gräbern gespielt. Das war unsere Marimba-Schule“, erklärt der 34-jährige Mongo. Dieser ungewöhnliche Grundkurs in Sachen Marimba hat Mongo, Kacho und Kilos, die Brüder Gama, geprägt und dafür gesorgt, dass die drei mit zwei Freunden 2015 Son Rompe Pera gründeten.

Erst auf Märkten, dann in den ersten Konzerthallen und hin und wieder auf Friedhöfen bringen sie ihre zunehmend angesagte Cumbia unters Volk. Zum Geburtshelfer dabei wurde neben Papa „Batuco“, der den Namen der Band zu verantworten hat und seine Söhne ermunterte zu spielen, Macha Asenjo, Gitarrist und Sänger von Chico Trujillo. Die Band aus Villa Alemana in Chile ist das Aushängeschild der Nueva Cumbia Chilena. „Wir haben Macha und die anderen dank dem Manager bei einem Konzert in Mexiko kennengelernt, uns angefreundet und uns von Chico Trujillo inspirieren lassen. Das war 2015. Zwei Jahre später waren Son Rompe Pera zum ersten Mal in Villa Alemana: „Da haben wir angefangen, unsere ersten Stücke zu komponieren. Zuvor waren wir eine reine Cover-Band, hatten ein breites Repertoire, weil wir auf den Friedhöfen rund um den Tag der Toten spielten und auf Märkten, aber eben nicht mehr“, erinnert sich Mongo.

Die Gigs auf Cementerios, Friedhöfen, macht das innovative Quintett aber weiterhin, wenn es ins Tourprogramm passt. In Los Angeles haben sie letztes Jahr auf dem Hollywood Forever Cemetery gespielt, halten ihrem Panteón Municipal de Río Hondo aber auch die Treue, denn in kaum einem anderen Land wird der Tag der Toten so inbrünstig zelebriert wie in Mexiko: „Niemand stirbt endgültig, solange seine Erinnerung in der Erinnerung von jemandem lebendig bleibt“, lautet der Satz, der quasi den Tag der Toten in Mexiko definiert. Der ist in Mexiko Nationalevent und die Vorbereitung auf den großen Tag beginnt Mitte Oktober, gefeiert wird vom 31. Oktober, dem Vorabend von Allerheiligen bis zum Gedächtnis Allerseelen am 2. November. Schon bei der Vorbereitung mit dem Säubern der Grabstätten, dem Schmücken und Dekorieren hören viele gern Musik und die Marimba, das in Mittelamerika und Mexiko populäre hölzerne Xylophon mit ihrem warmem Klang, sorgt für den richtigen Sound. Mongo und vor allem sein Bruder Kacho sind es, die die filigranen Schlägel auf die Holzklangstäbe niedersausen lassen.

Virtuelle Shows

Derart virtuos, dass das Quintett aus Naucalpan die Marimba erfolgreich in die in Lateinamerika so beliebte Cumbia eingeführt hat. So ist eine neue Spielart des Musikgenres entstanden, das zwischen Feuerland und New York Millionen Fans hat. Darüber hätte sich der 2016 verstorbene Vater, José Dolores „Batuco“ Gama, gefreut, der nicht viel mehr als die ersten musikalischen Gehversuche seiner drei Sprösslinge mitbekommen hat und für den Namen der Band verantwortlich ist: „Son steht für den kubanischen Musikstil, den unser Vater verehrte, Rompe für die Weckrufe, mit denen uns unsere Mutter, Esperanza, morgens rausschmiss, und Pera ist in Mexiko eine gängige Abkürzung für Esperanza“, erklärt Mongo.

Längst hat sich die energetische Band, bei deren Auftritten der Schweiß in Kübeln fließt, in der Cumbia-Szene links und rechts vom Atlantik etabliert. Der US-Tour im Frühjahr dieses Jahres mit Auftritt in Las Vegas, war die vierte, danach folgte mit dem Roskilde Festival und der anschließenden Europatour die zweite Visite in der Alten Welt.

Dabei hatten die fünf reichlich mit Tattoos dekorierten quirligen Mexikaner einen schweren Start. Als im März 2020 ihr Debütalbum erschien, brach die Covid-19-Pandemie aus, sodass die Band nicht touren konnte. Also verlegte sich das Quintett auf virtuelle Shows wie den Mole de Mayo in Chicago, die Jahresabschlussfeier des World Music Institute, präsentierte die neuen Songs auf Online-Festivals in Ecuador, Italien, Chile, Mexiko und Kolumbien. In Mexiko gelang der Durchbruch mit den Wochenendauftritten im Parque Mexico, wo sie von Woche zu Woche immer mehr maskierte Fans in ihren Bann zog.

Vater und der Friedhof

Bei der internationalen Musikkonferenz WOMEX waren sie 2020 und 2022 im Programm und haben sich kontinuierlich weiterentwickelt. Im Frühjahr 2023 erschien ihr Album „Chimborazo“. In Bogotá, unter der Regie von Cumbia-Mastermind Mario Galeano mit vielen Gästen eingespielt, markiert es eine neue Etappe: Alle Stücke sind bis auf „Tonio El Demonio“ selbst komponiert.

Die Zusammenarbeit mit anderen Musikern wie Macha von Chico Trujillo, Frente Cumbiero oder Anarkia Tropical ist ein weiteres Charakteristikum von Son Rompe Pera. Das inspiriert uns, meint Mongo, der die Live-Auftritte in Europa besonders genoss. „Da herrschte ein spezielles Ambiente. Das Publikum war gespickt mit Mi­gran­t:in­nen von Feuerland bis zum Rio Grande“, freut er sich. Auch ein Grund, weshalb „Chimborazo“, so der Name eines ecuadorianischen Vulkans, aber eben auch einer Straße in Naucalpan, ein zutiefst lateinamerikanisches Album ist. Mit Texten aus dem Alltag, Erlebnissen von den Tourneen und der einen oder anderen kritischen Reminiszenz. Dabei darf natürlich auch die an den Vater „Batuco“ und an die Sozialisation auf dem Cementerio, dem Friedhof, nicht fehlen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen