Ans Exil erinnern,im Heute handeln

Die am Freitag beginnenden „Tage des Exils“ sollen einen Vorgeschmack auf Berlins künftiges Exilmuseum geben. Das kann frühestens 2028 eröffnen – was auch an einer veränderten Bereitschaft zum Spenden liegt

Am einstigen Anhalter Bahnhof informiert eine Stele über das geplante Museum Foto: Susanne Memarnia

Von Susanne Memarnia

Bis zur Eröffnung des Berliner Exilmuseums wird es noch ein Weilchen dauern. Aber einen Vorgeschmack auf das, was einmal neben der Ruine des Anhalter Bahnhofs entstehen soll, kann man ab Freitagabend bei den „Tagen des Exils“ bekommen. Für die Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller, Schirmherrin beider Veranstaltungen, sind die Tage des Exils ein „temporäres Exilmuseum, zugleich aber auch ein starkes Plädoyer für ein permanentes Exilmuseum“. Sie wird die Tage in der Akademie der Künste mit einer „Rede zum Exil“ eröffnen.

Das Veranstaltungsprogramm, das die Körber-Stiftung vor einigen Jahren ins Leben gerufen hat, soll Menschen, die im Exil leben, mit anderen zusammenbringen, die diese Erfahrung nicht haben. Es wurde bereits in Hamburg und Frankfurt am Main durchgeführt – nun kommt es erstmals nach Berlin. 40 Organisationen und Kultureinrichtungen, darunter auch die Ma­che­r*in­nen des Exilmuseums, bieten über die ganze Stadt verteilt 50 zum Teil mehrsprachige Veranstaltungen. Über vier Wochen wird das Thema in Ausstellungen, Diskussionen, Lesungen, Konzerten, Performances und Filmen behandelt.

Aber warum soll man sich mit dem Thema überhaupt beschäftigen? „Das Exil ist ein wichtiger Bestandteil unserer Geschichte, der aber bisher noch keinen festen Platz in unserer Gedenkstättenlandschaft gefunden hat“, sagt Cornelia Vossen, Kuratorin des Exilmuseums. Sie spricht von der Zeit des Nationalsozialismus, in der etwa 500.000 Menschen – Wissenschaftler*innen, Schriftsteller*innen, Jüd*innen, Kom­mu­nis­t*in­nen und viele mehr – ins Exil getrieben wurden. Diese Gruppe wird der thematische Schwerpunkt des künftigen Museums sein, das damit eine Erinnerungslücke schließe, sagt Vossen. Denn die Exi­lan­t*in­nen des NS hätten hierzulande lange keine Lobby gehabt. „Die Erinnerung ans Exil stand lange im Schatten der Erinnerung an den Holocaust.“

Gleichzeitig werde das Museum die Brücke ins Heute schlagen, wo Deutschland, wo Berlin umgekehrt zum Zufluchtsort für Exilierte aus aller Welt geworden ist. „Wenn man das über die Zeiten hinweg vergleicht, sieht man, dass es bei allen historischen Unterschieden doch so etwas gibt wie eine anthropologische Konstante in der Erfahrung des Exils: Abschiede, das Warten, etwa auf den lebensrettenden Pass, den Sprachwechsel, das Ankommen in der neuen Gesellschaft, die Sehnsucht nach der alten Heimat.“ All dies werde von Exil­au­to­r*in­nen damals wie heute sehr ähnlich beschrieben, so Vossen. „Daraus kann man ganz viel lernen für unsere Willkommenskultur und -politik heute, die wesentlich und nötig ist für Geflüchtete und die wir in Deutschland leisten sollten – gerade aufgrund unserer Geschichte.“

Letztlich wird es also im Museum darum gehen, die Mehrheitsgesellschaft empfänglich zu machen für die Perspektive von Geflüchteten, indem man ihnen die Schicksale deutscher Exilierter erzählt. „Erziehung zur Empathie“, nennt Herta Müller das laut Vossen – die Nobelpreisträgerin musste bekanntlich selbst in den 80er Jahren aus Rumänien fliehen.

Der in diesem Januar verstorbene Gründungsdirektor des Exilmuseums, Christoph Stölzl, sagte vor Jahren in der taz, die Deutschen hätten „sich ihres besseren Teils entledigt“. Sind Exilierte also grundsätzlich die besseren Menschen? So pauschal könne man das kaum sagen, erwidert Vossen. Das Besondere an der Zeit des Nationalsozialismus sei eben gewesen, dass damals „eine ganze Kultur ausgelöscht“ wurde – und die Vertriebenen seinerzeit „besonders sprachmächtig waren – das macht ihre Zeitzeugnisse für uns so wertvoll, wenn es darum geht, die Erfahrung des Exils zu beschreiben“.

Kein trauriges Thema

Was aber bis heute für Menschen im Exil gelte, findet Vossen: „Sie sind oft widerständige, mutige Menschen, die versuchen, etwas in ihrem Heimatland zu bewegen, und darum politisch verfolgt werden und fliehen müssen.“ Dennoch sei das Thema Exil kein trauriges, wie sie selbst anfangs befürchtet habe: „Die Geschichten der Menschen von damals zeugen von ungeheurem Mut und einer Resilienz, die ich sehr beeindruckend finde.“ Das treffe auch auf viele heutige Exilierte zu.

Auch um die wird es viel gehen bei den kommenden Exil-Tagen – etwa am Eröffnungsabend, wo bei der „Langen Nacht des Exils“ die iranische Künstlerin Parastou Forouhar, der Historiker Andreas Kossert und der Autor Faisal Hamdo in einem Podiumsgespräch über Exil im 20. und 21. Jahrhundert diskutieren. Anschließend wird der „Exile Visual Arts Award“ für Werke von aktuellen Künst­le­r:in­nen verliehen, die essenzielle Fragen im Exil wie Identität, Zugehörigkeit oder Fremdheit visualisieren.

Auch die „Werkstatt Exilmuseum“ im ehemaligen Käthe-Kollwitz-Museum ist in den Tagen des Exils geöffnet. Seit März arbeitet dort das Team um Vossen an Plänen und Konzepten für das Museum und lädt Interessierte zur Mitgestaltung ein. Gemeinsam mit Geflüchteten wird hier unter anderem der Raum „Exil heute“ für das künftige Exilmuseum kuratiert.

Bis es so weit ist, wird es freilich noch dauern. Zwar hat die Stiftung Exilmuseum Berlin den Erbpachtvertrag mit dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg über das Grundstück am Anhalter Bahnhof im letzten Dezember abgeschlossen. Es gibt Architekturpläne, ein Szenografiewettbewerb wurde durchgeführt. Doch noch fehlt ein Gutteil des Geldes: 60 Millionen soll das Museum kosten. Im Prinzip muss alles über Spenden finanziert werden, 20 Millionen sind bislang zusammengekommen. „Durch Pandemie und Ukrainekrieg hat sich die Spendenbereitschaft sehr verändert“, sagt Vossen, „das hat uns zurückgeworfen.“ Dennoch bleibt sie optimistisch: Einen Förderantrag über 20 Millionen habe man kürzlich eingereicht. „Wenn wir die bekommen, könnte die Eröffnung 2028 sein.“

Alle Infos auf: koerber-stiftung.de/projekte/tage-des-exils/2023-berlin/