„Jetzt zu sparen wäre der falsche Weg“

Senatschef Kai Wegner (CDU) über die ersten Monate im Amt und die Stimmung in der Stadt

„Die AfD ist kein normaler politischer Mitbewerber, sondern mein politischer Feind“: Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) im Roten Rathaus   Foto: Doro Zinn

Interview Stefan Alberti
und Rainer Rutz

taz: Herr Wegner, Ihr Koalitionsvertrag hat den Titel „Das Beste für Berlin“. Was genau ist seit Ihrem Antritt vor vier Monaten besser geworden?

Kai Wegner: Die Art und Weise des Regierens. Ich spüre auch, dass das in der Stadt wahrgenommen wird, egal bei welcher Veranstaltung ich bin. Das ist geradezu wohltuend für viele Menschen, dass es nicht mehr diesen Streit auf offener Bühne gibt, sondern dass der Senat gemeinsam handelt, dass er sich verständigt, lösungsorientiert und pragmatisch, und die Positionen dann auch gemeinsam vertritt. Es gibt in Berlin eine gewisse Sehnsucht nach einem neuen Miteinander – gerade nach vielen Jahren Streit unter Rot-Grün-Rot.

Jenseits der neuen Nettigkeit: Sie haben versprochen, dass Berlin jeden Tag ein bisschen besser funktioniert. Davon kommt bisher nichts an: Bürgeramtstermine sind weiter rar, unsanierte Schulen gehen munter Richtung Schrottimmobilien, die Beispiele ließen sich fortführen.

Sie haben es doch selbst gesagt: Der Senat ist nun seit vier Monaten im Amt. Wir bringen die Dinge auf den Weg, wie bei der Schulbauoffensive, in die jetzt noch mehr Geld fließt. Aber auch wenn der Senat das beschlossen hat, sind die Schulen nicht morgen fertig – trotz aller Beschleunigung gibt es Ausschreibungsvorgaben und Bauzeiten.

Sie waren es aber doch, der als CDU-Landeschef seit 2019 immer wieder gesagt hat: „Der Senat muss jetzt …“ Ist Ihnen nun erst klar geworden, dass es so schnell doch nicht geht?

Genau wie parlamentarische Verfahren brauchen auch Verwaltungsprozesse ihre Zeit. Das überrascht mich gar nicht.

Sagt jetzt einer, der die Verwaltung früher oft als zu lahm und schwerfällig kritisiert hat.

Ich glaube immer noch, dass wir Strukturen anpassen und die Digitalisierung vorantreiben müssen. Dass manche Dinge länger dauern, liegt mit Sicherheit nicht an den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ich nehme auf jeden Fall wahr, dass sich in den ersten vier Regierungsmonaten ein neuer Geist, ein neuer Spirit in der Stadt entwickelt hat. Das höre ich überall, und das ist für mich eine gute Botschaft.

Andere Teile der Stadt spüren auch einen neuen Geist, aber keinen guten. Die schauen auf die Pläne fürs Tempelhofer Feld und sagen: Wegner macht Politik gegen die Innenstadt.

Das ist mit Sicherheit nicht so. Ich mache weder eine Politik für die Innen- noch für die Außenbezirke, sondern für ganz Berlin. Dass es immer um den Ausgleich von Interessen geht, ist doch gar keine Frage. Bei den Grünen hatte ich immer den Eindruck: Die haben eine grobe Schablone und legen sie über ganz Berlin – ganz egal, ob es passt oder nicht. Wir schauen uns konkret an, was es vor Ort braucht und was da funktioniert. Ein Beispiel: Wir wollen Fahrradwege, damit Menschen sicher von A nach B kommen. Unser Ziel ist nicht, den Autoverkehr auszubremsen. Die Debatte über die Radwegeplanung hat aber auch wieder gezeigt: Die Stadt ist tief gespalten, sie wurde tief gespalten – und diese Spaltung will ich beenden.

Wie soll denn eine von vielen bekämpfte Randbebauung des Tempelhofer Felds zur großen Versöhnung beitragen?

Wir als CDU haben zum Tempelhofer Feld seit vielen Jahren eine klare Position. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass es einen internationalen Wettbewerb über eine mögliche Randbebauung am Tempelhofer Feld gibt und danach die Berlinerinnen und Berliner entscheiden. Dafür müssen wir aber erst einmal eine Idee zur Gestaltung entwickeln.

Kommen wir zu einer Herzenssache Ihres Koalitionspartners SPD: dem 29-Euro-Ticket für alle. Die Verkehrsverwaltung schätzt die Kosten auf bis zu 335 Millionen Euro pro Jahr. Sie selbst geißelten das Vorgängerticket vor einem Jahr noch als verfehlt. Hand aufs Herz: Verfolgen Sie dieses Projekt ernsthaft weiter?

Eine Richtigstellung: Als Oppositionsführer vor einem Jahr habe ich nicht das 29-Euro-Ticket an sich gegeißelt. Wir hatten in unserem Wahlprogramm ein ähnliches Ticketmodell, das 365-Euro-Jahresticket. Ich habe mich darüber geärgert, dass Brandenburg von Berlin bloßgestellt worden ist und der Vorschlag für ein 29-Euro-Ticket in der Öffentlichkeit war, bevor man überhaupt mit Brandenburg verhandelt hat. Das war der falsche Weg, denn ich glaube an einen starken Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg. Wenn wir über Mobilität in Berlin reden, müssen wir die gesamte Hauptstadtregion in den Blick nehmen. Denn der tägliche Pendelverkehr und die Stausituation sind Alltag für viele Menschen.

Das beantwortet jetzt nicht wirklich die Frage, ob die Ticket-Neuauflage kommt.

Das 29-Euro-Ticket ist ein zentrales Versprechen in unserem Koalitionsvertrag, und viele Berlinerinnen und Berliner warten darauf. Deshalb arbeiten wir gerade daran, gemeinsam mit Brandenburg und dem VBB das Ticket umzusetzen. Ich bin sehr optimistisch, dass wir in Kürze Ergebnisse präsentieren werden.

„In Kürze“ – ist das das berühmte unkonkrete „zeitnah“?

Ich sage: in Kürze. Ganz bewusst nicht: zeitnah.

Wo wir gerade beim Geld waren: Die Ausgaben des Landes sollen 2024 und 2025 nochmals steigen. Dafür wollen Sie massiv an die Reserven gehen.

Stimmt. Und gleichzeitig haben wir eine hohe Inflation mit hohen Belastungen für fast alle Menschen. Wir spüren überall eine Verunsicherung. In solchen Krisenzeiten die Axt anzulegen und einen Sparhaushalt zu fahren, wäre der falsche Weg. Wir können uns nicht aus einer Krise heraussparen, sondern müssen investieren: in Infrastruktur, Gebäudesubstanz, Klimaschutz. Das sind Zukunftsinvestitionen, die wir jetzt tätigen müssen, weil über viele Jahre vieles in Berlin auf Verschleiß gefahren worden ist. Wenn wir jetzt nicht investieren, zahlen das die künftigen Generationen.

Kritiker nennen den Entwurf dennoch unseriös und warnen, wenn sich auf der Einnahmenseite nichts tue, drohten Berlin bei der Haushaltsaufstellung 2025 riesige Sparprogramme.

Berlin ist doch nicht das einzige Bundesland, das an die Reserven geht. Das machen auch andere, vermeintlich finanziell starke Bundesländer. Es bestärkt mich in meiner Forderung, dass wir die Schuldenbremse für Investitionen aussetzen müssen. Dass die Opposition den Haushalt kritisiert, gehört zu den Spielregeln.

Aber wenn das Geld aus den Reserven 2025 weg ist, ist es weg, und ein quietschender Sparhaushalt muss her, wohl vor allem mit Folgen im Sozialbereich. Das liegt nahe, oder?

Was wurde nicht alles während der Aufstellung des Haushalts über Kürzungen im sozialen Bereich spekuliert – teilweise als sehr durchsichtiges politisches Manöver. Nichts davon ist geschehen. Und ich sage Ihnen: Berlin kann sich Kürzungen im Sozialbereich gar nicht leisten. Schauen Sie sich die Situation in der Stadt an: Alters- und Kinderarmut sind bittere Realität. Wenn wir die Stadt zusammenführen wollen, geht es vor allem auch über die soziale Frage. Aber wir reden jetzt im Ernst nicht über das Jahr 2025?

Doch, wir reden über 2025.

Also, ich kenne keine Steuerschätzung für das Jahr. Ich weiß noch nicht einmal, ob wir 2025 noch eine Schuldenbremse in der heutigen Form haben. Was ich aber weiß: Ich werde immer dafür kämpfen, dass es gerade im sozialen Bereich keinen Kürzungswahn geben wird.

Sie widersprachen jüngst CDU-Chef Friedrich Merz und pochten auf die Brandmauer zur AfD. Möglicherweise wurden Sie selbst dank AfD-Stimmen Regierungschef. Wollten Sie nochmal was klarmachen?

Kai Wegner

50, gebürtiger Spandauer und seit April Regierender Bürgermeister. Wegner mischt seit 1989 in der Berliner CDU mit und zog 1999 ins Abgeordnetenhaus ein. Von 2005 bis 2021 saß er im Bundestag. Seit 2019 ist er CDU-Landeschef. Nach der alles andere als glänzend gelaufenen Wahl 2021 wurde er Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, bei der Wiederholungswahl im Februar erhielt die CDU die meisten Stimmen.

Da musste ich gar nichts klarmachen, denn ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass mich die Koalitionsmehrheit gewählt hat und ich keine einzige Stimme von der AfD bekommen habe.

Die vorangegangenen Wahlgänge, in denen Sie an Ihrer eigenen Koalition scheiterten, deuteten nicht darauf hin.

Das ist doch genau die Strategie der AfD, so etwas zu unterstellen, Zweifel zu säen und damit Parlamente und den Staat an sich zu delegitimieren. Ich hatte genau die Mehrheit der Koalitionsfraktionen. Ich muss überhaupt nichts klarstellen. Vielmehr wundere ich mich, dass Sie eher der AfD glauben als der Koalition aus CDU und SPD.

Wir glauben nicht der AfD, wir sehen nur die Zahlen.

Für mich ist jedenfalls völlig klar: Es darf, egal auf welcher Ebene, keine Zusammenarbeit mit der AfD geben. Vor allem aber bin ich sehr dankbar dafür, dass diese Debatte innerhalb der CDU beendet wurde. Denn die Zweifel an der Klarheit und die damit verbundenen Debatten nutzen in erster Linie der AfD. Die AfD ist kein normaler politischer Mitbewerber, die AfD ist mein politischer Feind.

Auf der linken Seite gibt es eine große Betroffenheit. Ihr Wahlsieg wurde als eigenartiges Ereignis wahrgenommen. Berlin bleibe auch unter Ihnen eine linke Stadt, heißt es.

Was heißt denn „linke Stadt“? Die meisten Menschen können mit diesen Etiketten gar nichts anfangen. Ich möchte eine Stadt, die lebenswert ist, eine Stadt, in der die Berlinerinnen und Berliner sagen: Ich bin hier gern zu Hause. Ich will, dass die Verwaltung funktioniert, dass wir genug Schulen und Kitaplätze haben, dass Menschen sicher von A nach B kommen. Wenn das eine „linke Stadt“ ausmacht, dann soll es so sein.