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zukunftDie neue Kanzlerin

Früher wollten alle wissen, was sie erwartet, heute haben die meisten schon von der Gegen­wart genug. Wir blicken trotzdem einmal im Monat immer ein Jahr voraus.

Wir schreiben das Jahr 2050. In Deutschland sind ganz andere Politikertypen am Start als vor 30 Jahren üblich. Das gilt besonders für das Spitzenamt. Früher gab es ja mal diesen Bundeskanzler Schulz oder Schmidt, so ein Allerweltsname jedenfalls. Der hat nie was gesagt, das war gar nicht dumm: Auf diese Weise war er schlicht nicht zu greifen, und hat sich fast zwölf Jahre lang im Job behauptet.

Es war nicht so, dass man ihn bewusst wiedergewählt hätte; man hatte den unauffälligen Mann einfach nur in seinem Amt vergessen. Aber als dann ’33 die Wagenknecht mit ihren Säuberungen begann, hat es natürlich auch ihn getroffen, und man zerrte ihn, staubbedeckt und mit Spinnweben überzogen, aus dem Kanzleramt. Strampelnd und um sich schlagend zeigte er zum ersten Mal so etwas Ähnliches wie Temperament. Friede seiner Glatze.

Doch Leisetreterei war gestern. Heute vergisst keiner, wer gerade Bundeskanzlerin ist, denn das wird alle halbe Stunde in ohrenbetäubender Lautstärke von den eigens dazu umfunktionierten Kirchtürmen und Minaretten geblasen. Jedes Kind kennt ihren Namen, obwohl es sich bei ihr um eine Künstliche Intelligenz handelt: RXÆ32MyFGx7. Im Volksmund heißt sie allerdings nur Erika Mustermann, denn weil der echte Name an ein WLAN-Passwort erinnert, könnte sich das ja auch bloß wieder keine merken.

Die Ernennungsprozedur der resoluten Dreijährigen war denkbar einfach. Die Regierungskoalition aus Partei der absoluten Wahrheit (PENIS), besonnenen Neoanarchisten und dem Seniorenbündnis „Graue Mäuse“ (der Altersdurchschnitt auf der Nordhalbkugel liegt bei 78,3 Lebensjahren) fütterte einfach den zuständigen Politbot mit den Anforderungen: „ChatBRD, kreiere uns bitte eine Kanzlerin für ein gemäßigt rechtspopulistisches Matriarchat mit asozialer Marktwirtschaft und Sterbehilfe auf Krankenkasse (Zuzahlung 10 Neuro). Die Haupt­herausforderungen unserer Zeit lauten: Naturkatastrophen, Stadt- und Landflucht, herumstreifende Löwenrudel, Genderhakenkreuze auf Stromkästen, Malaria, Pandemien, Baum- und Bienensterben sowie militante Wärmepumpenkleber auf Radwegen – frohes Schaffen!“ Und dabei kam eben RXÆ32MyFGx7 heraus. Das letzte verbliebene Presseorgan überhaupt, der Geranienburger Originalanzeiger, stellt ihr ein exzellentes Zeugnis aus: „Erika zeigt großen Fleiß und arbeitet recht selbstständig. Ihre Mitarbeit ist rege, das Betragen gut. Am Wahlunterricht in Pantomime hat sie mit Erfolg teilgenommen.“ Sie scheint genau die Regierungschefin zu sein, die Deutschland jetzt braucht.

Uli Hannemann

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