: Robinsonade in Bonbonfarben
Die Retrospektive „Fantasiefabrik“ der österreichisch-schweizerischen Künstlerin Elisabeth Wild (1922–2020) im Museum für Moderne Kunst Wien wird ihrem Gegenstand leider nicht auf allen Ebenen gerecht
Von Hans-Jürgen Hafner
Zu den populären Mythen der Kunst gehört, dass gute Kunst mit einem besonderen Leben zusammenhängen müsse. Und, dass sich wahres Talent immer irgendwann durchsetzt – und sei es noch so spät. Beides steckt in der Ausstellung „Fantasiefabrik“ über Elisabeth Wild im Museum Moderner Kunst in Wien.
Wild führte durchaus ein abenteuerliches Leben. 1922 in Wien geboren, emigrierte sie 1938 auf der Flucht vor den Nationalsozialisten mit ihren Eltern nach Buenos Aires. Das südamerikanische Land verließ sie, inzwischen mit einem Schweizer Textilunternehmer verheiratet, 1962 aus Furcht vor diktatorisch regierenden Militärs, um nach Basel überzusiedeln. Dort betrieb Wild einen Antiquitätenladen bis sie 1996 nach Panajachel, Guatemala, zu ihrer Tochter zog. Zur Geschichte gehört auch, dass Wilds Tochter die Künstlerin Vivian Suter ist, berühmt für atmosphärische Malerei-Interieurs. Leinwände bemalt sie oft in Erdfarben mit archaischer Geste und hängt sie wie Meterware dicht von der Decke. Suter lebt und arbeitet seit 1983 in Panajachel auf einer früheren Kaffeeplantage. Dort wohnten Mutter und Tochter Tür an Tür, bis Wild 2020 über den Vorbereitungen zur Schau in Wien verstarb. „Fantasiefabrik“ wird so zur posthumen Ehrung. Zufall, dass ihre Tochter Vivian Suter bis Juni eine große Ausstellung um die Ecke in der Secession zeigte? Seit die Werke beider Frauen 2017 so prominent auf der von Adam Szymczyk kuratierten documenta 14 miteinander kombiniert wurden, widmeten ihnen mehrere Museen auch eine Ausstellung. Beide werden zudem von der erfolgreichen Züricher Galerie Karma International vertreten.
Für die Retrospektive von Elisabeth Wild setzt Kuratorin Marianne Dobner nun auf Exotisierung. Da ist eine labyrinthische Ausstellungsarchitektur aus unregelmäßig gerundeten Papp-Paneelen in tropentauglichen Bonbonfarben. Daran hängen Dutzende zu Pattern arrangierte Collagen, sogenannte „Fantasias“. Wild hat die DIN-A4-großen, ornamentalen Kompositionen jahrelang aus Magazinausschnitten zusammengefügt. Rückschlüsse auf eine ästhetische Entwicklung, formale Höhen und thematische Tiefen zwischen den Arbeiten lassen die 365 für die Schau eingesammelten Stücke schon aufgrund der Hängung nicht zu. Es geht sichtlich nicht um einzelne Bilder. Es geht um den statistischen Nachweis einer Lebensleistung.
Dann ist da eine Urwald-Laube in einer Kulisse aus dichter Dschungelvegetation. Wilds Haus in Panajachel wurde hier aus brauner Pappe in Originalgröße nachgebaut und ein Stück Mittelamerika als Fototapete nach Wien gebracht – selbst der Hund fehlt nicht. Das Häuschen ist mit Pappmöbeln sparsam möbliert: Bett, Sessel, Tisch, Schrank. Dazu gibt es floral bedruckte bunte Teppiche, Decken, Bezüge. So ähnlich mag Wild in der Fremde gelebt haben: bescheiden, aber schön.
Surreal eingefärbt
Die Museumswände sind mit Bildern vollgehängt. Porträts, Akte, Stillleben, alle undatiert. Wenn der Pressetext zur Schau von einem „Ritt durch die Kunstgeschichte“ spricht, meint er damit Elisabeth Wilds akademisch eher konventionelle künstlerische Versuche in Zeichnung und Malerei, dazu ein paar surreal eingefärbte Sujets.
Zum Ausstellungsformat einer „Retrospektive“ gehört, das „Frühwerk“ als Beleg für Talent, Zeichen künftiger künstlerischer Größe zu exponieren. Wild hat ihre malerischen Experimente aber offenbar nicht weiter vertieft. Und auch ihre bunten Textilentwürfe, vielleicht aus den 1950er Jahren, gehen nicht weiter in die Tiefe. Dazu zeigt Marianne Dobner kommentarlos kunstfreie Memorabilia: private Fotos, gerahmte Werbeaussendungen des Baseler Antiquitätenladens – und der Blick auf die Dschungeltapete. Man wird in dieser Ausstellung das Gefühl nicht los, dass hier ein Leben zur Kunst hochmusealisiert wird. Und dazu gehört wohl auch, es zu exotisieren, die 2020 verstorbene Elisabeth Wild in einer Art musealen Robinsonade zu besingen.
„Elisabeth Wild. Fantasiefabrik“: Museum Moderne Kunst Stiftung Ludwig Wien. Bis 7. Januar 2024
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