Nigers neuer Militärmachthaber Tchiani: Putschführer mit UN-Erfahrung
Nigers neuer Staatschef heißt Abdourahamane Tchiani. Der General hat vor seinem Putsch zwölf Jahre lang die nigrische Präsidentengarde befehligt.
Tchiani, auch Tiani geschrieben, kommt aus der Region Filingué, die 180 Kilometer nördlich der Hauptstadt Niamey in der Wüste nahe der Grenze zu Mali liegt. Es ist eine Region, die unter den bewaffneten Konflikten Nigers mit grenzüberschreitend, zumeist aus Mali heraus agierenden islamistischen Terrorgruppen besonders leidet – seit Anfang 2020 befindet sich Filingué unter Ausnahmezustand, nach einer Reihe „gezielter Mordanschläge“ auf lokale Behördenvertreter. Auch Kriegsflüchtlinge aus Mali sind in der Stadt untergebracht.
Zuletzt hat die Unsicherheit in der Region erneut zugenommen, die Zahl der Binnenvertriebenen stieg. Mit dem „Versagen“ der bisherigen Regierung in der Terrorbekämpfung begründete Tchiani am Freitag in seiner ersten Erklärung den Putsch.
Seinem offiziellen Lebenslauf zufolge wurde er 1964 im Dorf Toukounous geboren, 25 Kilometer außerhalb der Kreisstadt Filingué. Seit den 1960er Jahren befindet sich in Toukounous eine von der deutschen Entwicklungshilfe eingerichtete große Viehzuchtstation, weswegen dort nicht nur die lokale Haussa-Bevölkerung lebte, sondern Zugezogene aus allen Landesteilen, und es gab in der Gegend Schulen und Krankenhäuser. Nach dem Abitur 1984 trat Tchiani zum 1. Januar 1985 in die Armee ein, in Tondibiah außerhalb der Hauptstadt.
Berichte über einstige Tätigkeit als Militärattaché in Berlin
Er durchlief eine Militärausbildung in Senegal, Frankreich, Marokko, Mali und den USA, unter anderem an der Militärakademie Koulikoro in Mali, wo jahrelang zuletzt die Bundeswehr ausbildend tätig war, sowie an der Sicherheitsakademie von Fort McNair, die alte Marinebasis der US-Hauptstadt Washington. Dort absolvierte er einen Antiterrorkurs.
Die in mehreren französischen Berichten zitierte Information, Tchiani sei einst Verteidigungsattaché an der nigrischen Botschaft in Berlin gewesen, findet sich im offiziellen Lebenslauf nicht. Dafür aber Entsendungen in mehrere UN-Missionen, etwa in der Elfenbeinküste, der Demokratischen Republik Kongo – dort leitete er 2006 die Demobilisierungsabteilung in der Bürgerkriegsprovinz Ituri – und in Sudans Kriegsregion Darfur.
Zu einem ungenannten Zeitpunkt kommandierte er auch Nigers Kontingent in der multinationalen Antiterrortruppe MNJTF, die seit 2012 unter Nigerias Kommando rund um den Tschadsee gegen die nigerianische Terrorgruppe Boko Haram kämpft. Der nigrische Ort N'Guigmi am Tschadsee war ab 1996 eine wichtige Station in Tchianis Karriere gewesen, ebenso ab 2003 die südnigrische Stadt Zinder und 2006 die Wüstenstadt Agadez. Dort kooperiert Nigers Armee eng mit Frankreich und den USA gegen Waffen-, Drogen- und Menschenschmuggelnetzwerke.
In den Generalstab Nigers stieg Tchiani 2008 auf. Als 2011 Niger nach einer Reihe von Militärputschen zur Demokratie zurückkehrte, machte ihn der neugewählte Präsident Mahamadou Issoufou zum Chef seiner Garde und beförderte ihn 2018 zum General. Die beiden gelten bis heute als eng befreundet.
Früher vereitelte er zwei Putschversuche
Es zirkulieren deswegen Gerüchte, Issoufou selbst stecke hinter dem Putsch gegen seinen Nachfolger Mohamed Bazoum, obwohl Issoufou und Bazoum derselben politischen Partei angehören, der sozialdemokratischen PNDS-Tarayya (Nigrische Partei für Demokratie und Sozialismus). Deren Sitz in Niamey wurde am Donnerstag angezündet.
Als Chef der Präsidialgarde hat Tchiani 2021 und 2022 zwei Putschversuche gegen Präsident Bazoum niedergeschlagen – nun geht er aus dem dritten als Gewinner hervor. Angeblich hatte Bazoum ihn entlassen wollen als Teil einer Militärreform, die auch andere Unzufriedene in hohen militärischen Dienstgraden produziert hat.
Die Reform hängt mit dem gescheiterten Putschversuch von 2021 zusammen. Der sollte damals Bazoums Amtseinführung vereiteln. Die Urheber wurden im Februar dieses Jahres zu hohen Haftstrafen verurteilt.
Tchiani ist nicht der erste Gardechef, der in Niger putscht. General Baré Mainassara, der 1996 Nigers erster kurzlebiger demokratischer Phase gewaltsam ein Ende setzte, war auch ein früherer Gardechef. Er wurde 1999 von seinem eigenen Gardechef Daouda Malam Wanké getötet, der selbst nur wenige Monate im Amt blieb. Diese wirre Zeit wollte Niger zuletzt eigentlich endgültig hinter sich gelassen haben. Sie droht jetzt zurückzukehren.
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