berliner szenen
: Die Zeit vergeht langsamer

Hinter dem Torbogen ein buntes Wimmelbild: Alle Bänke und Mauern sind von Familien, Paaren und Freunden besetzt. An einem fahrbaren Stand mit extravaganten Kaffeekreationen und New-Wave-Musik stehen Menschen aller Altersgruppen, vor dem Raucherbereich junge Menschen mit Bier. Ein Mann im Jogging­anzug durchsucht die Mülleimer im Umkreis. Eine Mutter und eine Tochter machen ein Selfie.

Bei flüchtiger Betrachtung wirkt die Grünanlage des ­Virchow-Klinikums wie jeder andere Berliner Park. Erst bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass jeder vierte Mensch hier Pflaster, Verbände oder gar Kanülen und Schläuche am Körper hat, die zu Plastikbeuteln mit undefinierbaren Flüssigkeiten führen. Und dass die Zeit auf dem Gelände verlangsamt scheint: die Bewegungen der Menschen, ihre Interaktionen. Auf den meisten Bänken und Mauern wird geschwiegen. Die Kommunikation beschränkt sich auf das Reichen von Trinken und Essen, Umarmungen, Küsse. Die Krankenhausanlage lässt selbst gestresste Chefinnen zu bangenden Töchtern und Müttern werden, gehetzte Manager zu besorgten Söhnen und Vätern.

Mitten in der belebten Stille kommen aus Haus 12 immer mehr Menschen. Bald bildet sich auf der Grünfläche ein Pulk schwarz Gekleideter. Kurz darauf zeigt sich auch, weshalb: Ein Transporter fährt vor. Zwei Männer in Anzügen holen einen schlichten Holzsarg heraus und bringen ihn ins Haus hinein. 20 Minuten später kommen sie mit dem Sarg zurück. Die Gruppe löst sich wieder auf.

Der Mann, der zuvor die Mülleimer durchforstet hat, scheint ihren Aufbruch abgewartet zu haben: Er steckt die Flaschen, die sie hinterlassen haben, zügig in seinen Rucksack. Anschließend wirkt die Szenerie wieder wie die eines Berliner Parks an einem sonnigen Tag. Eva-Lena Lörzer