Aktualisierter „Tannhäuser“ in Bayreuth: Zwischen den Welten

Tobias Kratzers „Tannhäuser“ begeistert in Bayreuth erneut als totales Theater mit Tiefgang. Am Pult debütiert Nathalie Stutzmann.

Die Drag Queen Le Gateau Chocolat plakatiert Wagner-Zitate.

Spielt sich in „Tannhäuser“ selbst: Le Gateau Chocolat Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Tobias Kratzers „Tannhäuser“ ist auch in seinem vierten Jahr wieder der Hit auf dem Grünen Hügel. Es ist der seltene Glücksfall einer Inszenierung, die die Neugierigen begeistert und auch bei Traditionalisten durchgeht. Eine, die Theater total bietet und das Stück auf dem Weg von einem Überraschungseffekt zum nächsten nicht einfach links liegen lässt. Eine, die etliche selbstreferenzielle Pointen zündet und sich auf die Abgründe des Stücks einlässt.

Dabei gibt es Videos en masse, zusätzliches Personal, jede Menge Gegenwart, sogar einen von der Festspielchefin veranlassten fingierten Polizeieinsatz auf der Bühne. Alles Zutaten, mit denen man in Bayreuth die Zuschauer früher auf die Palme gebracht hätte.

Aber Kunst kommt halt von Können – und hier können sie es einfach. Zudem hat sich Kratzer mit den Videos selbst eine ziemlich clevere Möglichkeit eingebaut, das Ganze bei jeder Wiederaufnahme sichtbar aufzufrischen. Diesmal taucht er zusammen mit Manuel Braun (Videos) und seinem Ausstatter Rainer Sellmaier selbst kurz auf. Mit gepackten Koffern, in zünftigem Matrosenlook und mit einem Tschüs Richtung Hamburg (wo Kratzer ja Intendant wird). Aber auch mit dem Aufkleber, der verrät, dass sie 2024 wieder zurückkommen …

Dazu gibt’s eine Anspielung auf die AR-Brillen im Parsifal. Auf der Bühne schützen sich die ins Festspielhaus strömenden Gäste mit dem Programmheft über den Köpfen vorm aktuellen Dauerregen. In der ersten Pause dann, in der die echten Gäste im Saal zu einer Zusatzshow an den Teich unten im Park geladen sind, wurde so viel Echtzeit-Zugewandtheit dann sogar höheren Ortes belohnt und der Regen pausierte genau zur richtigen Zeit!

Bunte Truppe um die flippige Venus

So wie die Inszenierung insgesamt den Hügel erobert hat, so macht es die reisende Off-Theatertruppe um die flippige Venus unter dem Motto „Frei im Wollen, Frei im Thun, Frei im Genießen“ (stammt natürlich von Richard selbst!) in der Inszenierung mit dem Festspielhaus. Mit einer Leiter über den Balkon.

Im Video hatte man gesehen, dass die bunte Truppe um die flippige Venus, mit Trommler Oskar (Manni Laudenbach), der sich selbst spielenden Dragqueen Le Gateau Chocolat und einem Tannhäuser im Clownskostüm von der Wartburg Richtung Bayreuth aufbrechen. Wie sie unterwegs Benzin klauen und das Fast Food nicht bezahlen.

Als Venus auch noch eiskalt einen Wachmann überfährt, wird es Tannhäuser zu viel. Er will zurück ins Festspielhaus zu seinen Sängerkollegen und vor allem zu der einen Kollegin, Elisabeth, und sich wieder in die laufende (ziemlich historisch wirkende) Tannhäuser-Produktion einklinken. Beim Sängerwettstreit kann er aber von der anderen Welt nicht lassen, die eingedrungene Venus und ihre Begleiter tun ein Übriges – der Eklat ist perfekt und Katharina lässt die Polizei anrollen und den Rebellen abführen.

Die Festspiele gehen mit der Zeit

Klaus Florian Vogt gehört in Bayreuth zum Stammpersonal. Mit seinem Tannhäuser gelang es ihm sogar noch zu überraschen. Selbst wie er mimisch (in Video-Großaufnahme) den Auftritt von Wolfram kommentiert, ist das eine Klasse für sich. Erst recht aber sein Gesang: frei und strahlend, durchdacht und in der Romerzählung als fabelhaft gestaltetes, dramatisches Kabinettstück! (Und das kurz nach seinem Siegmund!)

Elisabeth Teige setzt mehr als ihre Rollenvorgängerin Lise Davidsen vor allem auf den feinen lyrischen, mitunter flirrenden Ton und überzeugt. Als Gegenspielerin ist Ekaterina Gubanova wieder die in jeder Hinsicht fulminante Venus. Günther Groissböck führt als markiger Landgraf die fabelhafte Sängertruppe an, in der Siyabonga Maqungo als neuer Walther auffällt. Markus Eiche ist wieder der vital-markante, aber auch mitfühlende Konkurrent um Elisabeths Liebe. Wenn er Elisabeth auf deren Wunsch im Clownskostüm Heinrichs in den Theaterwagen folgt, ist das eine tieftraurige und exemplarisch erschütternde Szene.

Dazu kommen als glockenklarer junger Hirte Julia Grüter und der vorzügliche Chor des Hauses, der als Pilgertruppe von Festspielbesuchern auftritt, als Festgesellschaft beim Sängerwettstreit mitwirkt und sich schließlich am Ende in eine Truppe von gründlich Gescheiterten verwandelt. Bei der Premiere stand noch der Valery Gergiev am Pult, der seinerzeit noch (nur) künstlerisch enttäuschte.

Wie sehr die Festspiele – entgegen allem Untergangsgeraune – mit der Zeit gehen, belegt nicht zuletzt das Festspieldebüt von Nathalie Stutzmann als bereits zweite Dirigentin im verdeckten Graben. Das Publikum feierte sie mit Standing Ovations für eine Lesart, bei der man die Sensibilität der Sängerin am Pult (die sie ja auch ist) durchweg zu spüren meinte und die auf die innere Erzählung der Musik setzte, ohne der (wirklich großartigen) Show auf der Bühne eine im Graben entgegenzusetzen. Wie schön, dass dieser „Tannhäuser“ erst mal auf dem Spielplan der Festspiele bleibt.

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