Prekär und angefeindet

Der Wissenschaftsrat legt eine Bestandsaufnahme bei der Geschlechterforschung vor

Die Gender Studies sind im deutschen Wissenschaftssystem noch nicht richtig angekommen, werden aber gleichwohl politisch massiv angefeindet. Jetzt hat der Wissenschaftsrat, der als das ranghöchste Gremium zur Beratung der Wissenschaftspolitik in Deutschland gilt, erstmals eine Bestandsaufnahme der Geschlechterforschung vorgelegt. Er empfiehlt eine Verstetigung der befristeten Projekte und einen besseren Schutz der Forschenden vor Angriffen von außen.

Nach der in dieser Woche vorgestellten Studie gibt es derzeit über 170 Professuren an deutschen Hochschulen zur Geschlechterforschung, häufig in Kombination mit anderen Spezialfächern. An mehr als einem Dutzend Hochschulen werden Studiengänge in Gender Studies bzw. Geschlechterforschung angeboten, vor allem auf Masterebene. Darüber hinaus bieten etwa 30 Hochschulen studienbegleitende Zertifikate, etwa in Verbindung mit „Diversity Studies“ oder auch „Genderkompetenz“ für Studierende aller Fachrichtungen an. Eine Promotion explizit in Gender Studies ist in Deutschland bisher nur an der Humboldt-Universität zu Berlin möglich.

Die Themen der Geschlechterforschung reichen von sozialwissenschaftlichen Untersuchungen zum Gender Pay Gap oder zur Verteilung von Care-Arbeit, über medizinische Forschungen zu Geschlechterunterschieden bei Herzerkrankungen und Geschlechteraspekten in der Arzneimittelforschung bis hin zu literatur- und medienwissenschaftlichen Analysen von Geschlechterrollen in Literatur, Film und Fernsehen.

Es gibt der Analyse des Wissenschaftsrates zufolge auch rechtswissenschaftliche Untersuchungen zu Femizid und zu Transgender-Rechten, Forschungen zu Geschlechteraspekten in der Mensch-Computer-Interaktion bis zu ethnologischen, historischen und archäologischen Untersuchungen von Geschlechterordnungen verschiedener Kulturen und Zeiten. Das Thema ist quasi omnipräsent.

Nachholbedarf im internationalen Vergleich

Für Wolfgang Wick, den Vorsitzenden des Wissenschaftsrats, ist die Geschlechterforschung „ein dynamisches und zukunftsträchtiges Forschungsfeld mit großer Transferrelevanz“. Allerdings gebe es im internationalen Vergleich noch einigen Nachholbedarf, „insbesondere in den technischen Disziplinen und der Medizin“, so Wick.

Wick zufolge betrachtet der Wissenschaftsrat „mit Sorge die Diffamierungen und personenbezogene Angriffe auf Forschende und Studierende des Feldes“. Wie schon bei der Klimaforschung wachse auch hier „in Teilen der Öffentlichkeit die Abwehr gegen wissenschaftliche Aussagen und mögliche gesellschaftliche Implikationen“, die dann in einem Klima gesellschaftlicher Polarisierung zu personenbezogener Kritik und „zunehmend massiven Diffamierungen und Drohungen“ führe.

Es sei Aufgabe der Wissenschaftsgemeinschaft und der Gesamtgesellschaft, so das Papier des Rates, „sich in dieser Debatte für den Schutz der Wissenschaftsfreiheit und den Schutz der Forschenden und Studierenden zu positionieren“. Konkrete Vorschläge werden an dieser Stelle jedoch nicht gemacht. Manfred Ronzheimer