Mach's gut, du altes Haus

In Hann. Münden retten Bürger:innen leerstehende Häuser in der Innenstadt vor dem Zerfall. Bei der Sanierung packen sie gemeinsam in ihrer Freizeit an

Es gibt noch viel zu tun für die Mündener Genossenschaft: Leerstehendes Haus in der Innenstadt Foto: Swen Pförtner/dpa

Von Hagen Gersie

Leere Verkaufsflächen und ausbleibende Passant:innen: Es ist das viel geteilte Schicksal kleiner und mittelgroßer deutscher Innenstädte. Das Problem ist allseits bekannt, der Verfall – manchmal durchaus wörtlich zu nehmen – dennoch scheinbar nicht aufzuhalten. Der Onlinehandel macht einen Einkaufsbummel durch Innenstädte, die von den immer gleichen Verkaufsketten besiedelt sind, zunehmend unattraktiver.

Doch nicht alle akzeptieren das Sterben der Innenstädte. Im südniedersächsischen Hann. Münden hört eine von Bürger:innen gegründete Genossenschaft nicht auf, diesem Trend Widerstand zu leisten. Die Mündener Altstadt eG saniert eigenständig abrissreife Fachwerkhäuser. Regelmäßig treffen sich die Mitglieder und arbeiten am gerade aktuellen Hausprojekt.

Manche Mitglieder hatten vorher gar keine handwerkliche Erfahrung, andere sind Hand­wer­ke­r:in­nen oder Ingenieur:innen. Auch altersmäßig ist die Mitgliedschaft breit gefächert. So bringen sich alle mit ihrem Wissen ein. Das, was sie nicht selbst tun können, geben sie in Auftrag.

Auf die Weise haben sie seit 2013 schon zwei Fachwerkhäuser in der Innenstadt komplett saniert. Ein drittes Haus ist fast fertig. Weitere sind bereits geplant und im Eigentum der Genossenschaft.

Initiator Bernd Demandt ist eher zufällig zu diesem Projekt gekommen. 2007 gründete er mit einer Bekannten das Denkmalkunst-Festival. Über neun Tage stellen seitdem alle zwei Jahre rund 30 bis 50 Künstler:innen in den Denkmälern der Stadt aus.

Und das sind in der Mündener Innenstadt viele Gebäude. Rund 450 historische Fachwerkhäuser stehen hier – die Altstadt ist ein Flächendenkmal. Um mehr mediale Aufmerksamkeit für das Festival zu bekommen und dem Leerstand in der Innenstadt entgegenzuwirken, wollte Demandt gemeinsam mit anderen ein Fachwerkhaus über die neun Tage des Festivals komplett sanieren.

Die Idee der Sprintsanierung hatte er aus einer Folge der Fernsehsendung „Jetzt oder Nie“ Ende der 1990er-Jahre, in der der Moderator Ingo Dubinski immer innerhalb einer Woche eine Aufgabe erledigen musste. „Ich habe die Sendung ein einziges Mal gesehen und da musste er eine durch den 2. Weltkrieg kaputt gegangene Kirche erneuern. Das hat mich begeistert“, sagt Demandt.

Auch wenn das erste Haus nach neun Tagen noch nicht fertig war, funktionierte die Aktion. Es gab deutlich mehr Enthusiasmus für die Genossenschaft und mehr Leute wurden Mitglieder. Zur Gründung der Genossenschaft kamen über 200 Interessierte zusammen. Sie besprachen zunächst die beste Form ihres Zusammenschlusses und einigten sich auf die der Genossenschaft. Für Demandt ist es das beste Modell: „Ein Anteil kostet 100 Euro und schon ist man Co-Eigentümer. Und egal, wie viele Anteile man besitzt, alle haben nur eine Stimme.“

Mittlerweile hat die Genossenschaft über 300 Mitglieder, die zusammen rund 1.000 Anteile halten. Als Co-Eigentümer:innen haben die Leute ein größeres Interesse mit anzupacken, sagt Demandt. Nach fertiger Sanierung vermietet die Genossenschaft die Häuser. Mit den Einnahmen zahlt sie Darlehen ab. Der Überschuss geht direkt ins nächste Projekt.

Die Mündener Altstadt eG ist so erfolgreich, dass sie Anrufe aus anderen Städten bekommt, mit Fragen, wie sie das geschafft hat. Aus Rendsburg, Bad Grund oder Holzminden kommen die Leute, die sich von Demandt und seinen Mit­strei­te­r:in­nen beraten lassen wollen.

In der Serie „Das Dorf“ stellen wir Orte vor, in denen die Menschen ihre Zukunft in die Hand nehmen. Die Hann. Mündener Genossenschaft zum Erhalt leerstehender Fachwerkhäuser ist der zweite Teil der Serie.

Auch die Stadt Hann. Münden ist glücklich mit der Genossenschaft. Sie gehe mit gutem Beispiel voran, sagt ein Sprecher. „Das schafft ein Wir-Gefühl innerhalb der Stadt und schweißt zusammen.“ Die Stadt selbst setze gegen den Innenstadtverfall auf Kommunikation mit den „maßgeblichen Akteuren“ – Einwohner:innen, Einzelhändler:innen und Gastronom:innen. Mit einem Pop-Up-Store-Projekt konnte sie vor kurzem immerhin einige leerstehende Verkaufsflächen füllen.

Doch auch solche Ideen helfen vielen Innenstädten nicht. Nach einer Einschätzung des Handelsverbands Deutschland werden 2023 rund 9.000 Geschäfte in Deutschland schließen müssen. Schon vor der Coronapandemie gab es jährlich mehrere Tausend Geschäftsaufgaben. Während der Pandemie wurde diese Entwicklung extrem beschleunigt. Die hohe Inflation sorgt darüber hinaus für weniger Geschäft.

Zumindest in Münden ist die Innenstadt noch nicht verloren. Bernd Demandt sagt, er war nie ein Vereinsmensch. „Aber dadurch, dass ich diese schwachsinnige Idee hatte, konnte ich das auf niemanden abwälzen. Ich hätte nie gedacht, dass das solche Ausmaße annimmt. Es ist schon fast ein soziales Projekt.“