Neue Ortskräfte für Afghanistan

Die Bundesregierung leistet weiter Hilfe im Land. Hat sie dazugelernt?

Von Thomas Ruttig

Es hört sich paradox an: ­Da hat die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) immer noch nicht alle ihrer früheren Ortskräfte aus Afghanistan evakuiert – schon stellt sie dort wieder neue an. Dabei ist die bundeseigene Entwicklungsagentur – wie alle deutschen staatlichen Stellen seit der erneuten Taliban-Machtübernahme im August 2021 – in Afghanistan nicht mehr direkt präsent. Einige GIZ-Mitarbeitende machen von Nachbarländern aus weiter.

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) bestätigte jetzt der taz, dass unter den Neuangestellten „auch Frauen“ seien. Nichtdiskriminierung ist ein Grundprinzip der Vereinten Nationen (UN) und fast aller staatlichen und nichtstaatlichen Hilfswerke. Einheimische Mitarbeiterinnen sind gerade in sehr konservativen Gesellschaften wie in Afghanistan oft die einzige Garantie, dass humanitäre und Entwicklungshilfe auch Frauen erreicht. Die Taliban untersagen den UN sowie Nichtregierungsorganisationen (NGOs) allerdings, Afghaninnen anzustellen.

Nach Projekten und Geschlecht aufgeschlüsselte Zahlen will das BMZ nicht mitteilen, um ihr Personal „nicht unnötig zu exponieren“. Die Zeitung Welt am Sonntag berichtete von insgesamt „mehr als 250“ Neuangestellten. Die sind nach Auskunft des BMZ – Hauptauftraggeber der GIZ – vor allem „mit administrativen, technischen und logistischen Aufgaben betraut, unter anderem für die Einschätzung der Sicherheitslage“. Sie betreuen in Kooperation mit weiter im Land präsenten NGOs Projekte, „die dazu beitragen, den Alltag und das tägliche Leben der Menschen zu sichern“ – etwa Saatgut und Lebensmittelpakete verteilen oder Wasserleitungen reparieren.

Im Aktionsplan Afghanistan der Bundesregierung ist auch von Bildungsmaßnahmen für Kinder die Rede, außerdem soll die Schulinfrastruktur gender-fokussiert rehabilitiert werden, etwa durch den Bau von Waschräumen für Mädchen. Allerdings verboten die Taliban NGOs im Juni alle Aktivitäten im Bildungsbereich. Die GIZ ist aber als staatliche Stelle keine NGO, wodurch das Verbot für sie eigentlich nicht gilt.

Dass die GIZ so wortkarg ist, liegt auch daran, dass die Taliban in vielen Provinzen unter der Hand Ausnahmen zulassen, auch bei der Beschäftigung von Afghaninnen. Doch die Absprachen sind mündlich, können jederzeit zurückgenommen oder von konkurrierenden Talibanstrukturen sabotiert werden. Dass die Politik der Taliban so unberechenbar bleibt, ist gefährlich für die Hilfswerke, vor allem aber für alle Afghan*innen. Sie wissen nie genau, wann sie eine rote Linie überschreiten.

Der Bundesregierung ist anzurechnen, dass sie in der Grauzone zwischen offiziell eingestellter Entwicklungsarbeit und humanitärem Engagement in Afghanistan aktiv bleibt. Allerdings kämpft sie deshalb mit dem Argument, dass sie so „Steinzeit-Islamisten“ hoffähig mache. Dies kommt aus Kreisen der afghanischen Diaspora, die im Westen viel Gehör findet – im Gegensatz zu den Menschen in Afghanistan, die sich meist Auslandshilfe wünschen.

Bei der Aufarbeitung der Evakuierung früherer Ortskräfte gibt es Nachholbedarf im BMZ. Das zeigt die Antwort des Sprechers auf die taz-Frage, wie die neuen afghanischen Kol­le­g*in­nen vor den Taliban geschützt werden können: Sie arbeiteten „nicht in Bereichen, die politisch exponiert sind und damit potenziell eine spezifische Gefährdung darstellen könnten.“

Mit einem ähnlichen Argument verwehrte das BMZ 2021 all seinen Ortskräften zunächst ein Angebot zur Ausreise. Im Dezember 2022 erklärte ein hochrangiger Beamter des Ministeriums vor dem Afghanistan-Untersuchungsausschuss: Eine Arbeit für deutsche Entwicklungsorganisationen führe „nicht automatisch zur Gefährdung von Leib und Leben.“ Das entscheidet aber nicht Berlin, sondern die Taliban.

Aufgearbeitet werden sollte auch, wie das BMZ zwischen 2009 und 2013 unter dem damaligen Minister Dirk Niebel deutsche NGOs unter Druck setzte, mit der Bundeswehr zu kooperieren – und sie damit der Gefahr aussetzte, dass die Taliban sie mit dem Militär in einen Topf werfen.

Laut BMZ-Angaben harren immer noch 3.240 ehemalige GIZ-Ortskräfte und Familienangehörige in Afghanistan ihrer bereits zugesagten Ausreise nach Deutschland, unter dem Damoklesschwert der Talibanverfolgung.