das wird
: „Ein Punkt, der die Gesellschaft gespalten hat“

Historiker Martin Klatt überdie Volksabstimmung zur staatlichen Zugehörigkeit Schleswigs 1920 und ihren Folgen

Interview Robert Matthies

taz: Herr Klatt, nach der Volksabstimmung 1920 wurde der Norden Schleswigs dänisch, der Süden deutsch. Wie sah es in der Grenzregion vor der Abstimmung aus?

Martin Klatt: Es war eine Grenzzone ohne eine Staatsgrenze, so wie wir eine Grenze heute verstehen. Es gab die Grenze an der Königsau und die Zollgrenze beim Millerntor in Hamburg. Aber was die Bewohner angeht, gab es keine klaren Grenzen. Es gab zwei getrennte Verwaltungen: die des dänischen Königreiches und die der Herzogtümer Schleswig und Holstein. Dort fing die Pro­blematik mit dem Nationalen an, mit dem „nationalen Erwachen“.

Welche Rolle spielt dabei die Sprache?

Die Bevölkerung hat an der Westküste Friesisch gesprochen, zum Teil den dänischen Dialekt Sønderjysk oder in den Städten im Norden Standarddänisch. Und eben Plattdeutsch und Hochdeutsch. Die Amts- und Gerichtssprache im ganzen Herzogtum Schleswig war Hochdeutsch. Die Kirchensprache war etwas gemischter. Sprache war ein Werkzeug, bevor sie auch ein Identifikationsmerkmal wurde. Dabei hatte Deutsch einen höheren Status, weil es die Sprache der Verwaltung war. Es war die Sprache der höheren Bildung und des sozialen Aufstiegs.

Die Sprachen standen also auch für soziale Unterschiede?

Foto: ECMI

Martin Klatt ist Historiker und Politikwissenschaftler und seit 2022 Leiter des neuen Forschungsclusters deutsch-dänische Minderheitenfragen am European Centre for Minority Issues (ECMI) in Flensburg.

Ja, das ist gut dokumentiert. Man galt als primitiv, ländlich, bäuerlich, wenn man nicht gut Deutsch sprechen konnte. Gerade im nördlichen Teil von Schleswig spielte das vor dem Hintergrund der Wohlstandssteigerung im 18. und 19. Jahrhundert und der demokratischen Bewegung plötzlich eine Rolle. Aber der Knackpunkt war zunächst der Versuch, die dänische Sprache zu stärken, der von der deutschsprachigen Verwaltung eher bekämpft wurde. Parallel dazu gab es die schleswig-holsteinische Nationalbewegung, die ging vor allem von der Kieler Universität aus. Dann wurde die schleswig-holsteinische Frage aufgeworfen: Wo gehört es denn nun hin?

Und in Dänemark?

Auch dort wollte die Nationalbewegung den dänischen Gesamtstaat durch einen Nationalstaat ersetzen, der bis zur Eider gehen sollte. An Holstein hatten die Eiderdänen kein Interesse. So wurde aus einem Sprachkonflikt ein Nationalkonflikt. Die Menschen müssen sich seitdem entscheiden, auf welcher Seite sie stehen, und dieser Prozess ist auch 1920 nicht abgeschlossen.

Wie kam es 1920 zur Volksabstimmung?

Vortrag „Die Grenze im Kopf. Die Volksabstimmung 1920 und ihre Folgen für Denken und Bewusstsein“ mit Martin Klatt: heute, 19.30 Uhr, Bredstedt, Nordfriisk Instituut, Süderstraße 30

Damals galt das nationale Selbstbestimmungsrecht als modern. Nach dem Ersten Weltkrieg hat man in ganz Europa versucht, es anzuwenden, eben auch in Schleswig. Es war ja Teil der Bestimmungen des Friedensvertrages. Bei der Volksabstimmung gab es nur zwei Möglichkeiten: Deutschland oder Dänemark, man musste sich für ein Land entscheiden.

Und es gab handfeste Konsequenzen: Das Land wurde geteilt.

Schleswig wurde geteilt entlang einer Linie, die vorher nie eine Grenze war, zumindest keine wichtige Verwaltungsgrenze. Gerade im ländlichen Raum, in den Dörfern, wo man sich kennt, gab es Konsequenzen. Es gab einen massiven sozialen Druck bis hin zur Drohung, Menschen zu verjagen, wenn sie falsch abstimmen. Es hat die Menschen entgrenzt. Die Abstimmung 1920 war ein Punkt, der die Gesellschaft gespalten hat. Es war keiner richtig glücklich mit dem Ergebnis. Mein Vortrag findet in Bredstedt statt, im Nordfriisk Instituut: Bei den Nordfriesen hat es durch die Abstimmung ein richtiges Schisma gegeben, weil ein Teil der Friesen für Dänemark gestimmt hat. Auf den friesischen Inseln gab es mit die besten Ergebnisse für Dänemark. Bis heute gibt es den Nordfriesischen Verein, der sagt: Wir sind ein deutscher Stamm. Und es gibt den Friisk Foriining, der sagt: Wir sind eine nationale friesische Minderheit.