Ausgehen und rumstehen von Stephanie Grimm
: Verspultheit und Wumms zum Sonnenuntergang

Foto: taz

Eigentlich muss ich arbeiten, doch vor meinem Fenster ist Spatzendemo – und die ist unterhaltsamer als das, was sich auf meinem Bildschirm abspielt. Die Vorgeschichte der Protestkundgebung: Im letzten Herbst habe ich einen überdachten Meisenknödel an den Rahmen meines Fensters gehängt.

Den ganzen Winter über wurde der ignoriert und erst kürzlich von einer Spatzenbande entdeckt. Seither ist es vorbei mit der Ruhe. Immer hängen zwei, manchmal gar vier Spatzen an dem Knödel, picken wild rum und krachen mit der Konstruktion gegen das Fenster – gerne früh morgens. Und wenn es offen steht, verteilen sie einen guten Teil dieser Fettsamenmischung auf meinem Kopfkissen. Trotzdem fühle ich mich in der Pflicht, immer wieder Nachschub zu liefern

Weil die Hausverwaltung jemanden zum Fensterrahmenlackieren schickt, kann, ja muss ich den Knödel endlich ohne schlechtes Gewissen abhängen. Am Tag darauf ist die Empörung riesig. Wild flügelschlagend steht die ganze Bande in der Luft, da, wo vormals der Knödel war. Gezeter und Geschrei. Ab und zu ziehen sie sich zurück, sind aber gleich wieder da. Vermutlich ist ihnen heiß. Ich stelle eine Schale Wasser auf den Balkon und finde eine neue Stelle für den Knödel, drei Meter weiter. Und bin gespannt, wie lange es diesmal dauert, dass sie ihn finden (Postskript: geht ganz schnell).

Auf nach Dahlem. Dorthin lud der nomadische Kiezsalon am Samstag zum Konzert-Triple. Es ist voll, aber lauschig im Garten des Brücke-Museums. Wer’s draußen noch zu heiß findet, kann drinnen Kunst gucken. Zeitgenössische zudem, was man bei dem Museum ja gar nicht vermutet: tolle Textilcollagen und Bilder von Małgorzata Mirga-Tas.

Martyna Basta aus Krakow macht derweil mit Keyboard und eher zarten Kompositionen das Eingrooven leicht. Doch plötzlich sind überall Mücken, was für Hektik sorgt. Zum Glück ist der Mann, der so schlau war, Anti-Brumm mitzubringen, generös. Bald hat sich der halbe Garten eingedieselt. Eine clevere Gruppe hat Minifläschchen Citronella-Öl dabei – die Einzigen, die jetzt noch gut riechen. Es folgt Maria Rossi alias Cucina Povera, die nur aus Stimme und Field Recordings soghafte Stücke bastelt. Allerdings übertreibt sie es mit der Looperei, das Ganze klingt etwas geisterhaft – und passt vielleicht besser nach Nordfinnland, wo die Musikerin herkommt, als in diese laue Sommernacht. Das Publikum versetzt sie jedoch in Trance, die Leute liegen auf dem Boden und starren in den Himmel. Bei Laila Sakini, dem dritten Act, stimmt dann alles: eine perfekte Balance von Verspultheit und Wums zum Sonnenuntergang.

Am Sonntagabend geht es dann ins Jugendwiderstandsmuseum in der Friedrichshainer Galiläakirche. Dort werden der Sammelband „Magnetizdat DDR: Magnetbanduntergrund Ost 1979–1990“ und die dazugehörige Compilation vorgestellt, gewidmet der damaligen Postpunk- und Avantgardeszene. Zum Auftakt spielt eine vom Schauspieler Wolfgang Grossmann initiierte Version der Art-Punk-Band Zwitschermaschine. Die hat übrigens, damals unter anderem Namen, 1981 schon mal in der Kirche gespielt, bei sogenannten „Werkstatttagen“ für die randständige Jugend – zwei Jahre bevor sie auf der ersten DDR-Punkplatte überhaupt waren, der nur West-Berlin veröffentlichtem Spilt-LP „DDR von unten“.

Die Leute liegen auf dem Boden und starren in den Himmel

Von den Leuten, die 1981 dabei waren, sitzen heute einige auf dem Panel. So richtig an den Abend erinnern kann sich keiner. Doch „wenn’s in der Akte steht, wird es wohl stimmen“. Überhaupt hat der Abend was von einem Familientreffen, etwas Vorwissen sollte man mitbringen – zumindest bis zu dem atmosphärischen aus alten Super-8-Aufnahmen montierten Dokumentarfilm über die Band „Rosa Extra: Extrakte 19801984“ von Bernd Jestram, der sich selbst erklärt.