Wertewandel im Leistungssport: Verunsicherung unter Paukern

Der Deutsche Turner-Bund arbeitet daran, das Motto „Leistung mit Respekt“ umzusetzen, aber das ist gar nicht so einfach.

Show am Stufenbarren: Sophie Scheder bei den Deutschen Meisterschaften.

Show am Stufenbarren: Sophie Scheder bei den Deutschen Meisterschaften Foto: dpa

Sah ganz gut aus, was die neue deutsche Meisterin im Mehrkampf, Elisabeth Seitz, sowie die platzierten Emma Malewski und Pauline Schäfer-Betz am Donnerstag in Düsseldorf zeigten. Die deutschen Meisterschaften („The Finals“) sind für die Turnerinnen allerdings eher Auftakt als Finale, nämlich Auftakt der konkreten Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft im Herbst, die letzte Chance auf eine Olympiaqualifikation als Team.

Die ist das erklärte Ziel des Deutschen Turner-Bundes, der als Reaktionen auf zahlreiche Schilderungen missbräuchlicher Trainingspraktiken einen Kulturwandel unter dem Motto „Leistung mit Respekt“ ins Leben gerufen und folgende Maxime ausgegeben hat: „Der gesamte Trainingsprozess und die Rahmenbedingungen sind ausgerichtet auf das Ziel, international konkurrenzfähig und erfolgreich zu sein, unter Berücksichtigung, dass vom Beginn bis zum Ende der aktiven Karriere das Kindeswohl, die Persönlichkeitsrechte und eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung der Ath­le­t*in­nen jederzeit gewährleistet sind.“

Mitspracherecht der Athletinnen und Training auf Augenhöhe statt Erniedrigungen, statt eines Trainings unter Schmerzmedikamenten und statt hallenöffentlich aushängender Gewichtstabellen.

Der im vergangenen Jahr verpflichtete Niederländer Gerben Wiersma ist überzeugt, dass Erfolg und Respekt vereinbar sind. Sich mit den Athletinnen auf ein gemeinsames Ziel verständigen, hart daran arbeiten, sich als Trainer permanent hinterfragen und „brutal ehrlich“ sein – so seine Devise. Nach dem schwachen Auftritt bei der EM im Frühjahr ließ Wiersma dann auch kaum Zweifel daran, dass es aus seiner Sicht hier und da an der täglichen harten Arbeit im Vorfeld gemangelt hatte.

Übungen sind zu einfach

Seine Analyse der internationalen Konkurrenz ist ziemlich eindeutig: Mit der EM-Leistung wird die Olympiaqualifikation nicht gelingen. Das größte Pro­blem ist: Die Übungen sind zu einfach, das Zauberwort lautet „aufstocken“, höhere D-Noten, also Schwierigkeitswerte.

„Ich erwarte von ihnen höhere D-Noten und eine bessere Vorbereitung“, sagte er vor den nationalen Titelkämpfen mit Blick auf den Saisonhöhepunkt im Oktober. Das Potenzial sei zweifelsohne vorhanden, es müsse halt ausgeschöpft werden. Dass mehr Mitsprache und Augenhöhe auch mehr Eigenverantwortung bedeuten, ist für viele Turnerinnen eine neue Erfahrung – und offenbar auch eine Herausforderung. „Leistung mit Respekt“ werde mittlerweile als ­Totschlagargument benutzt, hatte Junioren-Bundestrainerin Claudia Schunk Anfang des Jahres berichtet – eben als Vorwand oder Ausrede, um weniger zu trainieren.

Manch einer sagt, die Trainergemeinde sei massiv verunsichert: Sie wüssten nicht mehr, was sie sagen oder tun dürften. Hier werden Argumente auf seltsame Art und Weise vermengt, mit dem Ergebnis, dass die Grenze zwischen hartem Training und psychischem Missbrauch komplett verschwimmt. Hardliner sahen sich jüngst durch die schwachen EM-Ergebnisse sogar bestätigt. Die „Turnen ist kein Ponyhof“-Fraktion hat wenig Interesse am Kulturwandel und ist gleichzeitig überzeugt zu wissen, wie man erfolgreiche Turnerinnen formt – so hat das ja schließlich früher auch geklappt.

Der Deutsche Turner-Bund hat sich dem Kulturwandel verschrieben und versucht damit im Grunde lediglich, einen längst vollzogenen gesellschaftlichen Wandel in die Blase des Hochleistungssports hineinzuholen. Wie ernst er es damit meint, wird sich herausstellen, falls der internationale Erfolg ausbleibt, schließlich zahlt der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) weiterhin für Medaillen, nicht für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung.

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