Vom Rande aus betrachtet

Ein Hamburger Bauhäusler wird wiederentdeckt – nicht zum ersten Mal, aber umso gründlicher: Zwei Ausstellungen und ein Buch würdigen den Architekten Fritz Schleifer

Zu „sowjetisch“ für die konservative Presse: Schleifers Entwurf für ein Theater und Konzerthaus im ukrainischen Charkiw (1930/31) Foto: Abb.: HAA

Von Bettina Maria Brosowsky

Der Hamburger „Architektursommer“ ist ein Schwergewicht unter den vielen bunten Reigen zur Sensibilisierung für unsere gebaute Umwelt, welche die Architekten- und Ingenieurkammern sowie Verbände regelmäßig veranstalten. Das Hamburger Geheimnis: Zeit. Der Architektursommer findet nur alle drei Jahre statt, im aktuellen Fall dauerte die Pause noch ein Jahr länger. Das lässt Tiefenbohrungen zu wie die Rekonstruktion von Werk und Leben des Hamburger „Bauhäuslers“ Fritz Schleifer (1903–1977). Das Ergebnis: zwei aufeinanderfolgende Ausstellungen und eine umfangreiche Monografie. Im Herbst folgt, allerdings in Berlin, die Würdigung Schleifers als Fotograf: seine (vom Menschen gemachten) Küstenlandschaften, entstanden ab den 1930er-Jahren.

Wer sich rund um das Bauhausjubiläum 2019 auch abseits der Schauplätze Weimar, Dessau und Berlin sowie der großen Namen umgetan hat, ist Schleifer schon begegnet. Er war einer der Protagonisten in der Ausstellung/Publikation „Bauhaus in Hamburg: Künstler, Werke, Spuren“. Die skizzierte personelle sowie pädagogisch konzeptionelle Verflechtungen zwischen der Hamburger Hochschule für bildende Künste, respektive ihren Vorläufern, mit dem Bauhaus und Bau­häus­le­r:in­nen – während der Weimarer Republik, aber auch in nach dem Krieg bis Ende der 1970er-Jahre. Dass Schleifers Lebensweg und seine Karriere als Architekt, Künstler und Hochschullehrer alles andere als glatt und glamourös verliefen: Das wird erst jetzt richtig deutlich, nach Sichtung auch seiner persönlichen Aufzeichnungen.

Schleifer, in Bayern geboren und aufgewachsen, begeisterte sich schon als jugendlicher Wandervogel für Natur und Gebautes. Frühe grafische Arbeiten, aber auch der Entwurf eines minimierten Zeltes belegen sein Talent. 1922 ging er ans Weimarer Bauhaus, absolvierte den Vorkurs, der schöpferisches Arbeiten mit dem handwerklichen Verständnis für unterschiedliche Materialien zu verbinden suchte. Als nachfolgende Ausbildung wählte er Wandmalerei und Raumgestaltung. Auch wenn er nur bis Ende 1924 blieb, um danach ein Architekturstudium im München aufzunehmen (aber nie abzuschließen), scheinen die vier Semester prägend gewesen zu sein, kreatives wie auch freundschaftliches Reservoir für ein lebenslanges künstlerisches Werk in der Synthese verschiedenster Disziplinen.

Um 1927 kam Schleifer nach Hamburg, arbeitete unter anderem im Büro von Karl Schneider. Nachts verfasste er eigene Wettbewerbsbeiträge, auch in Konkurrenz zu seinen Arbeitgebern. Seine meist isometrisch-räumlichen Zeichnungen rigider Entwürfe griffen zu einer plakativen Grafik nahe dem sowjetischen Konstruktivismus. Das trug ihm Diffamierungen in der konservativen Presse ein: „Falsche Baugesinnung“ hieß es, oder „Kniefall vor Moskau“, als er 1930/31 am Wettbewerb für ein Theater und Konzerthaus im ukrainischen Charkiw teilnahm.

Schleifers Zentralraumidee mit kreisrunder Bühne, orientiert am „Totaltheater“, das Walter Gropius für Erwin Piscator konzipiert hatte, blieb sein größtes Projekt in einer langen Reihe nicht realisierter Architekturen. Max Sauerlandt jedoch, Direktor der Landeskunstschule, vertraute ihm, berief ihn 1930 zum Leiter einer dem Bauhaus verpflichteten Vorklasse für Architektur; dazu Karl Schneider für den Städte,- Hoch- und Innenausbau.

Nachts verfasste er eigene Wettbewerbsbeiträge, auch in Konkurrenz zu seinen Arbeitgebern

Beide verloren 1933 ihre Ämter. Für Schleifer folgten instabile, freiberufliche Jahre, auch als Architekt für die Luftwaffe, und, nach seiner Wiedereinstellung an der Landeskunstschule im November 1945, Zeiten voller Unverständnis für sein Beharren auf eine künstlerisch breit angelegte Architekturlehre. Er sah sich in Gemeinschaft mit seinen Studierenden, ließ sie an Wettbewerben teilhaben, so 1952 für die Neubebauung Helgolands: Ein gewagter, langer Zwölfgeschosser besetzt da die Kante zwischen Ober- und Unterland, ohne allerdings eine visuelle Durchlässigkeit anzustreben wie sie Le Corbusier 1933 exemplarisch für Algier formuliert hatte. Kollegiale Intrigen, schwindender Rückhalt an der Hochschule mehrten sich: Schleifer blieb die Leitung einer Architekturklasse verwehrt, ebenso der Rang eines Professors – seiner Lehre wurde „Hochschulqualität“ abgesprochen. 1958 schied Schleifer freiwillig aus dem Dienst.

Es folgten Jahre ungebrochener Kreativität: Schwarz-Weiß-Grafiken, die mit optischen Täuschungen arbeiteten; Anaglyphen, die, durch eine Rot-Blau-Brille betrachtet, dreidimensionale Raumgebilde entfalteten; Plastiken und gemeinsame Entwürfe mit seinem Sohn. Schleifer war, wie es Hans Bunge, der Initiator dieser Wiederentdeckung, auf Italienisch ausdrückt, ein „Ercolino sempre in piedi“, ein Stehauf-Herkules, der den Verlust der Mitte zu einem Gewinn des Randes umzudeuten wusste.

„Fritz Schleifer: Der Architekt“, bis 16. 7.; „Fritz Schleifer: Der Künstler“, Eröffnung: 20. 7., 18 Uhr; bis 3. 9., Hamburg, Galerie Renate Kammer, Münzplatz 11

Hans Bunge, Hamburgische Architektenkammer (Hg.): „Der Verlust der Mitte ist der Gewinn des Randes. Fritz Schleifer – Ein Hamburger Bauhausschüler zwischen Architektur und Kunst“, Dölling und Galitz 2023, 216 S., 40 Euro