berliner szenen
: Nicht mehr viele Gespräche

Der M45er in Richtung Zoologischer Garten kommt nicht. Erst zeigt die Anzeige zehn Minuten. Nach Ablaufen der Zeit flimmert es eine Weile lang „jetzt“. Dann stellt die Anzeige sich um und zeigt erneut fünfzehn Minuten Wartezeit an. Weitere fünfzehn Minuten später wieder das gleiche Spiel.

Eine ältere Dame meint von der Seite: „Liegt sicher am Personalmangel.“ Ich runzle die Stirn. Sie fährt fort: „Ich kannte mal einen, der für die BVG gearbeitet hat. Im Schichtsystem. Dauernd spontan. Auch am Wochenende.“ Sie schüttelt den Kopf: „Und das alles bei der geringen Bezahlung. Ich kann gut verstehen, dass die Leute das nicht mitmachen. Da kann man ja keine Familie gründen und nichts.“ Sie lächelt: „Ein Glück ist es Sonntag und ich habe es nicht eilig. Will nur mal eben zum Konditor. Ein Stück Torte essen und die Sonne genießen.“ Sie blickt in den Himmel: „Ist doch echt herrliches Wetter heute, oder? Nicht zu heiß und nicht zu kalt. So könnte es immer bleiben.“ Und nach einer Pause: „Nur die armen Pflanzen, die vermissen etwas Regen. Denen wäre es zu gönnen, dass es bald mal wieder so richtig schüttet.“ Solange es das nicht täte, wolle sie das gute Wetter auskosten: „Wir hatten genug Grau.“ Wenn es erst einmal wieder regne, ließe sich nicht mehr viel unternehmen. „Nicht einmal in die Konditorei will ich dann fahren. Kuchen drinnen essen kann ich schließlich auch zu Hause.“ Als der Bus letztlich doch noch kommt, fragt sie: „Ich hoffe, ich habe Sie nicht belästigt? Ich weiß, ich bin eine Labertasche. Aber wissen Sie, wenn man alt ist, hat man nicht mehr so viele Gespräche. Und Selbstgespräche will ich gar nicht erst anfangen.“

Am U-Bahnhof Ruhleben steigt sie aus. Vom Busfenster aus sehe ich, wie sie vor dem Blumenladen eine andere Frau anspricht.

Eva-Lena Lörzer