Tarifstreit bei der Bahn: Keine Gier, sondern notwendig

12 Prozent mehr Lohn klingen happig, Kun­d:in­nen finden die Streik-Ankündigung nervig. Doch die EVG geht wegen der Inflation mit gutem Beispiel voran.

Zwei Tauben auf dem Bahnsteig

München Hauptbahnhof: während des EVG-Streiks im April spazieren zwei Tauben auf dem Bahnsteig Foto: Frank Hoermann/imago

Na danke. Kaum beginnen in Nordrhein-Westfalen, dem größten Bundesland, die Sommerferien, kaum packen Zehntausende die Koffer, um in diesem Jahr aber wirklich mal klimagerecht in den Urlaub zu fahren, also mit dem Zug und nicht dem die Autobahn zustauenden Pkw, da schaltet die größte Bahngewerkschaft EVG auf Streik. Unbefristet soll der sein. Also nicht wie die noch irgendwie verkraftbaren Ausstände der Warnstreiks in diesen schon vier Monate dauernden Tarifverhandlungen. Sondern – im Wortsinne – anhaltend.

Da ist es nur ein kleiner Trost, dass es die EVG offenbar gar nicht eilig hat mit der Arbeitsniederlegung. Vier bis fünf Wochen will sie sich Zeit lassen für die notwendige Urabstimmung. So richtig knallen wird es also erst mit mehrwöchiger Verspätung. Nun ja, wir sind hier schließlich bei der Bahn.

Das Echo auf die Blockade der EVG könnte fataler kaum sein. Dass der Bahn-Vorstand den Gewerkschaftern ein „unglaubliches“ Verhalten vorwirft, weil eine Einigung in greifbarer Nähe gelegen habe, mag nicht überraschen. Aber auch das Medienecho ist eindeutig: Von der Süddeutschen, die der EVG Verantwortungslosigkeit und Sturheit vorwirft, bis zur Bild, die der Gewerkschaft unterstellt, es gehe ihr nur um eine Machtdemonstration, hauen alle auf die EVG ein.

Tatsächlich hat sie es alles andere als leicht, ihre Forderungen zu kommunizieren. Das liegt allein schon am Arbeitgeber. Zwar dürfte die Bahn bei ihren tatsächlichen Kund:in­nen einen weitaus besseren Ruf haben, als es das weitverbreitete und immer wieder gern zitierte Bahn-Bashing vermuten lässt. Aber sie ist eben auch nicht die Ikone der dringend notwendigen Verkehrswende, sie ist nicht das Unternehmen, das das Land und seine Bür­ge­r:in­nen Zug und Zug voranbrächte.

Nachhaltig geschädigt durch den „Bahn-Chef“

Sie leidet bis heute unter dem unseligen Hartmut Mehdorn. Der prägte das Staatsunternehmen mit seinem angeblich ökonomischen Sparkurs so nachhaltig, dass nicht nur sein Name untrennbar verbunden scheint mit dem Titel „Bahn-Chef“. Trotz mittlerweile zahlreicher Nachfolger – wie hießen die noch gleich? – kam die Bahn nicht wieder richtig aufs Gleis. Verspätungen, Zugausfälle, ein eingedampftes, überlastetes, weil schlecht gepflegtes Netz. Man muss nur einmal die Posse der immer wieder scheiternden Zugteilung in Hamm in Westfalen miterlebt haben, um zu wissen, was los ist.

Tatsächlich hat es die EVG alles andere als leicht, ihre Forderungen zu kommunizieren. Das liegt allein schon am Arbeitgeber

Wenn aber der Service zu wünschen übrig lässt, wird das auch zum Problem der EVG. Zwar können die Mit­ar­bei­te­r:in­nen am Gleis noch am wenigsten für die Missstände. Im Gegenteil. Der zunehmende Sarkasmus in den Lautsprecheransagen rettet häufig das Vergnügen einer Bahnfahrt. Aber dennoch: Verärgerte Kun­d:in­nen treffen ja nicht auf die Vorstände, sondern auf die einfachen Mitarbeiter:innen. Und denen sollen sie nun satte 12 Prozent mehr gönnen? Obwohl die damit drohen, uns die Fahrt in den Urlaub zu torpedieren?

Überhaupt diese 12 Prozent, die die EVG seit Monaten hochhält. Die klingen so happig, dass es der Gegenseite leichtfällt, der Gewerkschaft das Label „Gier“ anzuhängen. Dabei würde selbst eine 12-prozentige Lohnerhöhung von der aktuellen Inflation mehr als aufgefressen, wenn der Tarifvertrag, wie von der Bahn gewünscht, die Löhne für zwei Jahre oder mehr festschreiben würde.

Gerade in Zeiten stark steigender Preise ist die Laufzeit eines Tarifvertrags entscheidend. Die Bahn spekuliert offenbar auf eine anhaltend hohe Inflation, die die höheren Lohnkosten für sie wieder ausgleichen würde. Kein Wunder, dass die Gewerkschaft da nicht mitmachen will und auf der Möglichkeit beharrt, nach einem Jahr neu zu verhandeln.

Unverschämtheit von der Bahn

Auch das Angebot der Bahn, die Löhne in zwei Stufen einmal im Dezember und dann noch mal im August 2024 pauschal um 200 Euro zu erhöhen, ist nichts anderes als eine Unverschämtheit. Denn bei der derzeitigen Inflationsrate von 7 Prozent schreibt das für die meisten Mit­ar­bei­te­r:in­nen einen Reallohnverlust fest. Das ist tatsächlich unglaublich. So etwas muss eine Gewerkschaft ablehnen – auch wenn sie dafür in die Kritik gerät.

Zum Glück kommt die EVG erst gar nicht in Versuchung, den Bahn-Chefs die Hand zu reichen. Denn die nicht gerade konfliktscheue kleinere Lokführergewerkschaft GdL will im Herbst für ihre Mitglieder noch bessere Konditionen erstreiten. Diese Konkurrenz zwischen EVG und GdL belebt das Geschäft – zugunsten der Beschäftigten. Es ist eine beispielhafte Erfolgsgeschichte, die man sich auch für andere Branchen wünschen würde.

Das bedeutet dann zwar weitere Streiks. Aber gerade in Zeiten von Inflation, die den Arbeitenden das Geld aus der Tasche zieht, kann man dazu nur eins sagen: Ja, danke.

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Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters

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