Kinotipp der Woche: Warten auf ein Happy End
Das Filmfest "Jewcy Movies" zeigt jüdisches Leben quer durch die Genres, darunter verbotene Liebe jenseits des Kitschs und harte Familiengeschichten.
Esther, Tochter orthodoxer Juden aus Frankreich, kommt beim Familientrip in Süditalien dem Obstbauern Elio langsam näher. Sie bekommt kaum noch Luft im starren Gefüge der jüdisch-orthodoxen Gemeinschaft, in der sie aufgewachsen ist. Ihr Eltern wollen endlich eine arrangierte Ehe für sie und machen immer stärker Druck.
Wie es Stéphane Freiss in seinem Film „Where Life begins“ nun gelingt, aus diesem Stoff von der jungen Frau im Gefängnis aus Zwängen, die sich zunehmend damit beschäftigt, von ihrem Herzensmann erlöst zu werden, keinen Kitsch zu fabrizieren, das ist ihm hoch anzurechnen.
Ständig glaubt man, dass es endlich so weit ist und unter Italiens Sonne und mit Blick aufs Meer die Befreiung mit wenigstens einem Kuss besiegelt wird. Aber so leicht ist es dann halt nicht und man wartet und wartet auf das Happy End, das es so, wie man sich das vorstellt, einfach nicht geben wird.
Gezeigt wird „Where Life Begins“ beim Jüdischen Filmfestival Berlin | Brandenburg, das vom 13. bis zum 18. Juni in mehreren Kinos in Berlin und Potsdam gastiert. Zu sehen gibt es Filme aus aller Welt, die in irgendeiner Form mit jüdischem Leben zusammenhängen. Das kann wie in diesem Jahr auch Horror- und Queerfilm bedeuten, es muss also nicht immer Klezmer und die Shoah sein, aber Klezmer und die Shoah kommen natürlich auch vor.
Jewcy Movies – Jüdisches Filmfestival Berlin | Brandenburg, 13.–18. Juni, Programm: jfbb.info
Um die industrielle Ermordung der Juden in Nazideutschland geht es beispielsweise im Prozess gegen Adolf Eichmann Anfang der Sechziger, in denen „June Zero“ von Jake Paltrow spielt. In ganz Israel ist das die Geschichte überhaupt: Man hat den Nazi-Schlächter vor Gericht und ja, der Mann soll hängen und ja, es geht hier auch um Vergeltung.
Erzählt wird in Paltrows Film, wie der noch junge Staat Israel sich über den Prozess neu definiert. Der Nazi im Gerichtsaal hat keine Macht mehr und ist nur noch ein kleiner Wurm und man wird nun dafür sorgen, dass im Namen des ganzes Landes für Gerechtigkeit gesorgt wird.
Dazu gehört auch, dass ein Leibwächter und ein Gefängniswärter akribisch darauf achten, dass niemand ein Attentat auf Eichmann begeht, was das ganze Verfahren vor Gericht hinfällig machen würde. Denn beim Eichmann-Prozess ging es auch um symbolische Vergeltung.
Das arbeitet der Film vor allem an der Spezialaufgabe heraus, an der der 13-jährige David beteiligt ist. Sein Chef wird damit betraut, ein Minikrematorium zu bauen. Die Überreste Eichmanns sollen darin zu Asche werden. Was den Juden in den KZs widerfahren ist, wird noch einmal im Kleinen nachgestellt, aber dieses Mal als Sieg der einstigen Opfer über einen ihrer Peiniger.
Dass Israel nicht mehr das zerrissene, dabei aber hoffnungsfrohe Land ist, wie es das in den frühen Sechzigern noch war, ist bekannt. Momentan wirkt es nur noch zerrissen. Und für Eli in Ofir Raul Graizers Film „America“ ist es der Ort, den er vor allem mit schlimmen Erinnerungen verknüpft und dem er längst entflohen ist, um in den USA zu leben. Doch der Tod seines Vaters bringt ihn zurück in sein Elternhaus. Dorthin, wo er von seinem Vater, einem Militär, verprügelt und seiner Mutter Gewalt angetan wurde, bis diese sich umgebracht hat.
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Regisseur Graizer verknüpft das grimmige Schicksal Elis mit einem Drama der Sonderklasse rund um dessen besten Kindheitsfreund und dessen Verlobter. Ein Stück verbotene Liebe schleicht sich ein und es sind schon ganz schön viele Drehungen und Wendungen, die der Film macht.
Aber der Eindruck vom verlorenen Paradies Israel ist nachhaltig und die Erkenntnis, dass Eli mit dieser Familiengeschichte sein Glück einfach nicht mehr finden kann, wirkt ziemlich deprimierend.
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