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Kinotipp der WocheSinnlich im Dämmerlicht

Das XPOSED Queer Film Festival zeigt intime Motorradfahrten und queere Gegenwelten in Kolumbien. Dazu Panels, Pitches und ein Wikipedia-Edit-a-thon.

„All the Colours of the World Are Between Black and White“ (R: Babatunde Apalowo, Nigeria 2023) Foto: Polymath Pictures

Ein kurzer Zug an einer imaginären Zigarette, ein Schluck aus einem imaginären Glas und dann ein paar Töne auf der Luftgitarre. Bambino zelebriert seine kleinen Fluchten aus dem Alltag als Motorradkurier in Lagos. Wenn das Gestreite seiner Nachbarn, das durch die Wände dringt, zu laut wird, lehnt er sich zurück und schafft sich seine eigene, kleine Welt.

Als Bawa, der in einem Wettladen arbeitet, ihn nach einer Lieferung bittet, den Motorradhelm wieder aufzusetzen und Fotos von ihm macht, posiert er eher genervt. Doch Bawa lässt nicht locker, nutzt Vorwände, um Bambino wiederzusehen. Auf dem Motorrad fahren die beiden durch Lagos von einem Fotoshooting zum nächsten. Als die beiden sich immer näher kommen, stellen sich für den eher introvertierten Bambino Fragen, nach der Art seiner Beziehung zu Bawa.

Das Spielfilmdebüt des nigerianischen Regisseurs Babatunde Apalowo „All the Colours of the World are between Black and White“ gewann auf der diesjährigen Berlinale den Teddy Award als bester Spielfilm, Ende der Woche ist er als Teil des XPOSED Queer Film Festival zu sehen.

Das kommende Wochenende über zeigt das Festival im Kreuzberger Kino Movimento, im aquarium und in den Neuköllner Kinos Il Kino und Wolf ein gutes Dutzend queerer Spielfilme und sechs Kurzfilmprogramme.

Ergänzt wird das Filmfestival um verschiedene Panels und Drehbuch-Pitches sowie um ein Streamingangebot in Kooperation mit Salzgeber. Ein Wikipedia-Edit-a-thon sorgt hoffentlich auch mittelfristig für mehr Sichtbarkeit und Auffindbarkeit von queeren Experimentalfilmen.

„Ich habe mich nicht entschieden, geboren zu werden. Ich wurde in die Welt geworfen.“ Ein Leichenwagen fährt zu Beginn von Theo Montoyas Dokumentarfilm „Anhell69“ über eine nächtlich-neblige Straße in Kolumbien; Fernsehbilder zeigen das Morden im Land, dann blitzt als Gegenwelt buntes Licht durch einen Club und Körper bewegen sich sinnlich im Dämmerlicht.

Montoya zeigt in eindrucksvollen Bildern das Leben einer Generation junger queerer Menschen im Kolumbien nach dem Friedensabkommen zwischen Staat und Farc 2016. Kurz nachdem der Regisseur einen Hauptdarsteller gefunden hat, stirbt dieser an einer Überdosis Heroin.

Nächtliche Blicke auf Medellín, Partyszenen und Stadtszenen, in denen Plakate nach Verschwundenen suchen, verdichten sich in „Anhell69“ zum Bild einer Gesellschaft, die mit Geistern lebt. Der Film gewann den Hauptpreis von Dok Leipzig, die Goldene Taube im internationalen Wettbewerb.

Wie in jeder der 16 bisherigen Ausgaben versammelt das Xposed Queer Film Festival auch dieses Jahr eine besondere Auswahl des internationalen queeren Films.

Violet Du Feng begleitet in ihrer Doku „Hidden Letters“ zwei Frauen, die sich mit als unabhängige Frauen im modernen China mit traditionellen Rollenerwartungen auseinandersetzen, um freier zu werden. Die marokkanische Regisseurin Maryam Touzani verwebt die Textiltraditionen Marokkos mit Fragen der Repräsentationen des Begehrens jenseits der Heteronormativität.

Kurzum: wie jedes Jahr ist das XPOSED Queer Film Festival ein Geschenk des Festivalteams an die Berliner Kinogänger_innen.

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