kunstraum: Wider alle Essenzen
Meistenteils analog, im Zeitalter des digitalen Selfie also ganz besonders interessant ist das Werk von Juan Pablo Echeverri (1978–2022). Denn der Künstler machte sich schon mit analogen Mitteln, dem Fotoautomaten oder dem Besuch eines Passbildstudios, selbst zum Bild. In diesem Vorgang, sich zu fotografieren, keineswegs in der Absicht eines simplen Selbstporträts, sondern in der, ein Bild zu schaffen, auf dem man sich selbst zum Bild gemacht hat, sieht der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich ein Charakteristikum des Selfie.
Dass Echeverri von Beginn an diesen Werkansatz verfolgte, hängt mit seinem Anliegen zusammen, sich einer reduzierten, statischen und essenzialistischen Lesart von Identität zu widersetzten. Davon spricht auch der Titel der Ausstellung „Identidad Perdida“, die an den Künstler erinnert. Sich selbst zum Bild zu machen erlaubte es Echeverri, mit einer Vielfalt an Ausdrucksformen von Identität und Geschlecht zu experimentieren. Er dokumentierte dies, indem er jeden Tag ein Porträt von sich in einer Fotokabine aufnahm. Die so entstandenen Passbilder sammelte er über 24 Jahre hinweg. Unter dem Titel „miss fotojapón“ – ein Wortspiel aus dem Homophon miss/mis (spanisch mein) und der kolumbianischen Geschäftskette Foto Japón – entstand so ein Konvolut von über 8000 Bildern. Drei Bildtafeln von 100 x 100 cm zeigen drei mögliche Zusammenstellungen von je 400 Bildern. Eines der Mittel, mit dem Echeverri sein sich stets wandelndes Selbstbild kreierte, waren Frisur, Haarlängen und Haarfarben. Auf „MascuLady“ (2006), einem Straßenaufsteller, wie er in Südamerika vor Friseurläden zu finden ist, zeigt er Frisuren in der damals populären, als metrosexuell gelabelten Ästhetik. Die besondere Bedeutung von Frisuren als Zeichen für die Zugehörigkeit zu Subkulturen und Bewegungen machte Echeverri in seiner Performance für „MUTILady“ (2003) deutlich, während der seine Haare immer wieder neu gefärbt und gleichzeitig stetig gekürzt und schließlich ganz abrasiert wurden.
Mit wie viel Ideenreichtum, Wissen um kulturelle und popkulturelle Codes, Lust am Spiel – mehr als an der simplen Provokation – und gleichzeitig mit wie viel ernsthafter Überlegung und Arbeit der Künstler sein hochpolitisches Anliegen in ein zugleich brillantes ästhetisches Ereignis überführte, verdeutlichen einmal mehr seine Videos, die im Untergeschoss laufen und von denen man kein einziges versäumen darf.
Juan Pablo Echeverri: Identidad Perdida, Between Bridges, bis 29. Juli, Mi.–Sa. 12–18 Uhr, Adalbertstr. 43
Brigitte Werneburg
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