Journalist Wallraff über seine Arbeit: „Immer häufiger Medienanwälte“

Investigativjournalist Günter Wallraff kritisiert zunehmende Behinderungsversuche seiner Arbeit. RTL hat er sich bewusst für seine Sendungen ausgesucht.

Günter Wallraff posiert mit Bild-Zeitung, im Hintergrund Gartenzwerge und ein Haus

Eine seiner berühmtesten Recherchen: 1977 arbeitete Wallraff undercover bei der „Bild“-Zeitung Foto: Günter Zint/PAN-Foto

taz: Herr Wallraff, bei der letzten „Team Wallraff“-Sendung über Missstände in Krankenhäusern erhielten Sie im­ Vorfeld rund 140 Anwaltsschreiben …

Günter Wallraff: Es ist der Normalfall, dass Anwälte schon im Vorfeld einer investigativen Berichterstattung in Stellung gebracht werden, um sie zu verhindern. Aber über 140 Anwaltsschreiben für eine einzige Sendung, das haben wir bisher noch nicht erlebt. Als Faustregel gilt: Die Allerschlimmsten betreiben den größten juristischen Aufwand, um einzuschüchtern und damit Missstände zu vertuschen.

Wie gehen Sie mit den Angriffen um?

Bei RTL habe ich einen redaktionellen Freiraum und kann auch Missstände bei großen potenziellen Werbekunden thematisieren. Wie zum Beispiel bei Amazon, in der Paketbranche oder bei Burger King, wo Hygiene- und Arbeitsschutzbestimmungen systematisch missachtet werden. Damals haben wir erreicht, dass sich der Deutschlandverantwortliche öffentlich entschuldigte und letztlich die von Burger King zu Unrecht Entlassenen wieder eingestellt wurden. Der Sender hat engagierte und kämpferische Jurist:innen.

ist Deutschlands bekanntester Investigativjournalist. Anfang der 1960er Jahre begann er mit verdeckten Recherchen bei Industriekonzernen; er schlich sich in die Redaktion der Bild-Zeitung ein und enthüllte den dort herrschenden Zynismus; seine Erfahrungen als Türke Ali in Billiglohnjobs veröffentlichte er unter dem Titel „Ganz unten“. Es war mit mehr als fünf Millionen Exemplaren das erfolgreichste deutsche Sachbuch seit 1945 und wurde in 38 Sprachen übersetzt. Wallraff setzte sich beständig für Menschenrechte ein und unterstützte DDR-Oppositionelle wie Wolf Biermann, verfolgte türkische Journalisten, den britischen Schriftsteller Salman Rushdie und Julian Assange. Seit 2012 läuft bei RTL in unregelmäßigen Abständen sein Investigativformat „Team Wallraff“

Wie schätzen Sie die Rolle der Medienanwälte ein?

Immer häufiger werden Medienanwälte vorgeschaltet, um kritische Berichterstattung gezielt zu verhindern. So versucht ein bekannter Promi-Anwalt, Zeugen einzuschüchtern, indem er ihnen immense Schadenersatzansprüche androht und sie warnt, aus diesen Anwaltsschreiben zu zitieren, da dies weitere finanzielle Ansprüche gegen sie auslösen würde. Eine größtmögliche Drohkulisse – juristisch allerdings haltlos.

Früher hätte man Günter Wallraff und RTL nicht unbedingt in einen Zusammenhang gebracht.

Ich bin auf RTL zugegangen, auch weil ich hier jüngere Zuschauer erreiche, von denen viele in prekären Arbeitsverhältnissen leben, die seit jeher mein Thema sind. Bei den Öffentlich-Rechtlichen musste ich zuvor erleben, dass einzelne meiner Rollenreportagen nicht durch die zuständigen Redakteure, sondern durch Intervention leitender Bürokraten oder juristische Bedenkenträger verhindert wurden. In dieser Hinsicht bin ich ein gebranntes Kind, was die Öffentlich-Rechtlichen angeht …

Wieso?

Mein Film über die Bild-Zeitung für die ARD verschwand über 30 Jahre im „Giftschrank“, bis er dann 2010 in einer gekürzten Fassung im Dritten gezeigt wurde. Auch die Kinodokumentation „Ganz unten“ ist in den 80er Jahren weltweit gelaufen und hat internationale Preise bekommen. Hierzulande verhinderten die CDU-regierten Länder auf Betreiben der CSU die Ausstrahlung, obwohl der Film bereits für den 1. Mai in den Programmzeitschriften angekündigt war. Das holländische Fernsehen sendete die Dokumentation dann mit deutschen Untertiteln, so bekamen ihn wenigstens die deutschen Grenzbewohner zu sehen.

Rechtliche Auseinandersetzungen haben Sie in Ihrer Laufbahn schon immer erlebt …

Meine Arbeit wurde immer wieder von Prozessen begleitet, jahrelang vor allem durch Springer. Sie versuchten, meine Arbeit zu kriminalisieren, und konstruierten dafür den sogenannten „Tatbestand des Einschleichens“. Der Bundesgerichtshof hat schließlich entschieden: Wenn es um gravierende Missstände geht, hat die Öffentlichkeit ein Recht, darüber informiert zu werden, auch wenn die Erkenntnisse unter anderer Identität zustande kommen. Durch die sog. „Lex Wallraff“ sind deshalb bis heute Undercover-Einsätze vom BGH und Bundesverfassungsgericht abgesichert.

Wo liegt der Unterschied der Methoden, die Sie angewendet haben, im Vergleich zu den Methoden der Bild-Zeitung und anderer?

Ich wurde bis ins Privatleben hinein bespitzelt und abgehört und als so bezeichneter „Untergrund-Kommunist“ zum Feindbild stilisiert. Kai Diekmann beschreibt das in seiner Festschrift kritisch, was die Verantwortlichen wie der ehemalige Bild-Chef Günter Prinz und andere da verbrochen haben: Bild, lange Jahre nicht nur eine professionelle Fälscherwerkstatt, sondern auch das Zentralorgan des Rufmordes.

Welche Grenzen ziehen Sie bei Ihrer Arbeit?

Bei mir liegt die Grenze eindeutig dort, wo der Privatbereich, erst recht die Intimsphäre beginnt: Die ist absolut tabu – selbst bei meinen größten Widersachern habe ich mich immer daran gehalten.

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