Neue proben den Aufbruch

Auf ihrem Parteitag wählt die Linke zwei neue Landesvorsitzende und attackiert Schwarz-Rot

Von Erik Peter

Nach sechseinhalb Jahren an der Regierung und ebenso langer Zeit unter Führung der Landesvorsitzenden Katina Schubert beginnt für die Linke eine neue Zeit. Ihre neue Aufgabe heißt Opposition, ihre neue Doppelspitze besteht aus Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer. Auf ihrem Landesparteitag am Wochenende in den Reinbeckhallen in Oberschöneweide entfielen dabei 85 Prozent der 153 Delegiertenstimmen auf die bildungspolitische Sprecherin der Abgeordnetenhausfraktion sowie 73 Prozent auf den Vorsitzenden der Pankower Linken, der sich gegen einen Gegenkandidaten behaupten musste.

Der landespolitisch bislang wenig bekannte Schirmer, Jahrgang 1990, hielt dabei die mitreißendere, programmatischere Rede. Die Partei müsse ein „Berlin entwickeln, das sich zumindest teilweise aus der Marktlogik befreit“, so Schirmer. Er kündigte eine „programmatische Neuaufstellung“ bis zur Wahl 2026 an – zusammen mit der Stadtgesellschaft, mit Gewerkschaften, Initiativen und Vereinen. Für die Partei gelte dabei „öfter mal zuzuhören und nicht immer nur zu überzeugen“.

Die Linke müsse „mit einem Kraftakt aus der Abwärtsspirale befreit“ werden. Gezielt sollen neue Mitglieder vor allem auch unter jenen 40 Prozent der Ber­li­ne­r:in­nen mit Migrationsgeschichte geworben werden, so Schirmer: „Wir wollen eine moderne Linke, eine diverse Linke, eine, die die Stadt repräsentiert und gestaltet.“ Das Ziel dabei ist eindeutig und unumstritten: Die Linke will zurück an die Regierung.

Bis dahin aber kündigte Franziska Brychcy eine wahrnehmbare Oppositionsarbeit an. Die SPD werde man „sehr gern daran erinnern“, was unter einem rot-grün-roten Bündnis möglich gewesen wäre. Druck machen will die Linke vor allem in der Frage der Enteignung großer Immobilienunternehmen, auch sei man bereit, ein mögliches zweites Volksbegehren zu unterstützen, so Brychcy, die vielen in der Partei als Versöhnerin und Teamplayerin gilt.

Der Parteitag verlief ohne große Kontroversen oder Überraschungen. Der Leitantrag unter dem Titel „Die Zukunft der Stadt solidarisch entwickeln“ entfachte kaum Widerspruch und wurde mit nur einer Handvoll Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen. Versöhnt ist die Partei auch in ihrem jahrelangen zentralen Streitfeld – Regieren oder Opponieren. Hinter der Formel des „rebellischen Regierens“ können sich alle Strömungen versammeln.

Auch personell spiegelt sich diese Entwicklung wieder: durch die Einbindung jener linken Kräfte in den Landesvorstand, die lange außen vor waren. So wurden als stellvertretende Vorsitzende die Parteilinken Katalin Gennburg, Sprecherin für Stadtentwicklung, und Ruben Lehnert, Sprecher des Bezirksverbandes Neukölln gewählt. Ergänzt wird die Riege der Vizes durch Björn Tielebein aus Marzahn-Hellersdorf und Deniz Seyhun aus Mitte.

Bei ihrer Verabschiedung zu Beginn des Parteitages zeigte sich Katina Schubert weniger wehmütig als vielmehr angriffslustig. Hart attackierte sie den neuen Senat und den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (SPD). Bei ihm paarten sich „Piefigkeit und Provinzialität mit stockkonservativer Haltung“, so Schubert. Seine Wahl, in der die AfD zum Zünglein an der Waage werden konnte, sei „verantwortungslos und dieser Stadt nicht würdig“.

Franziska Giffey (SPD) warf sie vor, sich ins Wirtschaftsressort geflüchtet und nicht „den Mumm“ zu haben, zuständige Senatorin für den Neubau zu werden. In der schwarz-roten Koalition kämen nun ihr „infantiles Bauen Bauen Bauen“ mit „Auto Auto Auto“ zusammen. Die ersten Regierungsmaßnahmen – das Zurückziehen des letzten Teiles des Mobilitätsgesetzes und die Ankündigung, Mietsteigerungen in den landeseigen Wohnungsbaugesellschaften wieder zuzulassen – zeigten, „wohin die Reise geht“.