Hauptsache geschminkt

Saskia Diesings Film „Der verlorene Zug“ sollte aus feministischer Perspektive auf den Zweiten Weltkrieg schauen. Dabei ist gut ausschauen alles – und gestorben wird diskret

Die russische Scharfschützin ist eine, die Zigaretten liebt und Vera heißt Foto: Coin Film/Keyfilm/Ricardo Vaz Palma, Thomas Kost

Von Wilfried Hippen

Die Geschichte verdient es, erzählt zu werden: In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs versuchten die Nazis, in drei Eisenbahnzügen Häftlinge aus dem KZ Bergen-Belsen ins KZ Theresienstadt zu transportieren. Nach langer Irrfahrt blieb einer dieser Züge auf offener Strecke beim brandenburgischen Dorf Tröbitz stehen. Die SS-Wachmannschaft floh. Das Dorf war bereits von der sowjetischen Armee besetzt. Der Kommandant entschied, die Häftlinge, darunter 1.500 niederländische Juden und Jüdinnen, im Dorf unterzubringen.

Die niederländische Regisseurin Saskia Diesing entschied sich dafür, in „Der verlorene Zug“ nur den letzten Akt dieses wahren Dramas zu erzählen. Ein Prolog handelt mit einer animierten Landkarte die „Vorgeschichte“ in wenigen Sekunden ab, dann steigen schon die Häftlinge aus den stehenden Güterwaggons. An den Gleisen nehmen sowjetischen Sol­da­t*in­nen sie in Empfang und geleiten sie nach Tröpitz. Und in einer Parallel- oder besser Dreifachmontage werden dann die Prot­ago­nis­t*in­nen des Films eingeführt: Die jüdische Niederländerin Simone (Hanna van Vliet), die russische Scharfschützin Vera (Eugénie Anselin) und die junge Deutsche Winnie (Anna Bachmann). Simone wird im Haus der Deutschen einquartiert und die Russin hat nicht viel anderes zu tun, als sich dort um die beiden zu kümmern.

So werden die Konflikte zwischen den etwa gleichaltrigen Frauen zumeist in diesem Haus durchgespielt. Ein zweiter Handlungs- und Drehort ist ein Lazarett: Als im Dorf Typhus ausbricht, werden die Kranken dort isoliert. Die entsprechenden Sequenzen wurden im Heimatmuseum des kleinen Dorfes Oberlangen im niedersächsischen Emsland gedreht: Nordmedia hat die niederländisch-deutsch-luxemburgische Koproduktion, die heute anläuft, gefördert. Deshalb musste sie zum Teil in Niedersachsen gefertigt werden.

Diesing wollte erklärtermaßen aus einer weiblichen Perspektive vom Krieg erzählen. Darum entschied sie sich dazu, sich konsequent auf ihre Protagonistinnen zu konzentrieren. Zuerst hassen die Deutsche, die immer noch an den Führer glaubt, und die russische Elitesoldatin einander. Die Jüdin misstraut beiden. Aber im Laufe des Films siegt die weibliche Solidarität. „Drei Frauen, gespalten durch den Krieg, vereint durch ihren Mut“, verspricht der Filmtrailer – und auf diese eher schlichte Botschaft lässt sich der Film auch reduzieren. Zuerst wird viel gestritten, dann gibt es ein Bonding an der Nähmaschine und im Schlussbild nehmen die drei herzlich Abschied.

An einer auch nur halbwegs authentischen oder auch nur plausiblen historischen Darstellung hat die Filmemacherin wenig Interesse: Das Werk strotzt vor Ungenauigkeiten – wie etwa der Naziflagge, die immer noch stolz über dem Rathaus des von den Russen eingenommenen Dorfes so munter weht, als sollte sie Diesings Ahnungslosigkeit bezeugen. Ärgerlich auch, gut gekleidet und geschminkt die drei Frauen fotografiert wurden: Die Russin hat eigentlich einen jahrelangen brutalen Bodenkampf gegen deutsche Wehrmachtssoldaten hinter sich, die Jüdin müsste halb verhungert sein, die Deutsche ist knapp einer Vergewaltigung entkommen. Das Make-up aber haben sie sich bewahrt.

Verräterisch ist auch der Einsatz von Musik sowie von historischen Tonaufnahmen im Film. Das Durchhaltelied „Davon geht die Welt nicht unter“ von Zarah Leander, eine Schnulze von Marika Rökk, eine Komposition von Johannes Brahms sowie die Bekanntgabe vom Tod Adolf Hitlers ertönen aus dem Radio im Haus, in dem die drei Frauen im Überlebenskampf dennoch Muße genug haben, in der Küche dem Radio zu lauschen.

„Drei Frauen, gespalten durch den Krieg, vereint durch ihren Mut“

Filmtrailer

Als Vorbild dienen hier mutmaßlich die historischen Melodramen von Rainer Werner Fassbinder. Allerdings hatte der in „Die Ehe der Maria Braun“ und „Lili Marleen“ die historischen Tondokumente immer als unerklärte akustische Irritationen eingesetzt, also als einen Verfremdungseffekt, während Saskia Diesing sich ständig bemüht zu zeigen, dass die drei Frauen sie tatsächlich im Radio oder vom Plattenspieler hören. Das wirkt bemüht, auch weil diese akustischen Illustrationen immerzu genau zu den Situation passen.

Saskia Diesing wollte nicht zeigen, wie schrecklich ein Krieg ist. Sie wollte die Solidarität von Frauen angesichts all der toxischen Männlichkeit feiern, ohne dabei jemandem weh zu tun. Deshalb wird stets dezent im Bildhintergrund gestorben sowie nur feinfühlig auf der Tonebene vergewaltigt: Wäre „Der verlorene Zug“ wirklich eine weibliche Perspektive auf den Krieg, wäre diese so überflüssig wie dieser Film. Sie ist es nicht.