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: „Der Tod sollte uns als Gesellschaft umtreiben“

Eine Performance in Hamburg widmet sich dem Tod allein

Interview Frauke Hamann

taz: Herr Schmidt, Ihre Inszenierung handelt vom Sterben in Einsamkeit. Harte Kost fürs Publikum?

Helge Schmidt: Es wird eine Mischung aus Schauspiel und Hörspiel. Das Publikum, maximal 50 Menschen, bekommt Kopfhörer. Es kann sich frei bewegen oder sitzen und die Gegenstände näher betrachten, die an den Wänden sind. Der Fußboden ist bedeckt mit Vlieshexel – das ermöglicht ein spezielles Gehen, wie im Ungefähren.

Ist einsames Sterben nicht extrem angstbesetzt?

Deshalb eröffnen wir ein Panorama der Betrachtungsweisen. Wir haben zahlreiche Gespräche geführt, mit einer Pastorin, die Sozialbestattungen begleitet, einer Sozialwissenschaftlerin, einem Polizisten und einem Rettungssanitäter. Ihnen allen begegnet der Tod – sie finden Verstorbene in deren Wohnung, manchmal erst nach Wochen. Sie bewilligen die Kostenübernahme einer Sozialbestattung, begleiten Verstorbene auf ihrem letzten Weg. Sie reflektieren das Sterben.

In Hamburg lebt jede/r Zweite allein im eigenen Haushalt.

Deshalb steht ein Einzelner im Mittelpunkt des Abends, gespielt von Günter Schaupp. Dieser Jedermann, ein Sixtysomething, hat seine Rituale: Er rasiert sich. Er zieht sich an, er kocht Kaffee. Er macht Gymnastik. Er liest. Jeden Tag, alle Tage.

Foto: Ivo Mayr

Helge Schmidt

geboren 1983 in Schwerin, freier Regisseur, hat Theaterwissenschaften, Literatur und Psychologie studiert.

Einsam sterben – bedeutet das, ohne Bindung zu sein?

Der Tod als unbemerktes Ereignis sollte uns als Gesellschaft umtreiben. Wir erinnern deshalb auch an extreme Sterbe-Situationen während der Pandemie. Da haben sich Menschen nur digital verabschieden können.

Laut Statistik nimmt einsames Sterben zu, ist das auch ein politisches Problem?

Einsames Sterben hat für mich unmittelbar mit Sozialpolitik zu tun – wenn der Staat einspringt und die Bestattungskosten übernimmt, für die jemand nicht hat vorsorgen können. 2021 gab es in Hamburg über 1.000 Sozialbestattungen. Und die Zahl steigt. Armut, Einsamkeit, Obdachlosigkeit – gerade hier in der Stadt sehen wir das fast überall. Die Einsamkeit schon vor dem Ende bestimmt dann auch den Ausklang eines Lebens.

Der Philosoph Vladimir Jankélévitch nennt den Tod einen Skandal.

„Vom einsamen Sterben“: 27. April, 19.30 Uhr Freie Akademie der Künste, Hamburg

Ja, er schreibt: „Ach, wer stirbt, stirbt allein, macht den einsamen Schritt allein, den niemand für uns machen kann und den jeder, wenn seine Stunde gekommen ist, allein für sich vollziehen muss.“ Doch wir sollten unterscheiden zwischen allein sterben oder einsam sterben.

Karin Beiers Collage über den Tod am Schauspielhaus 2021 hieß mehrdeutig „Aus dem Leben“. Ihr Titel „Vom einsamen Sterben“ sagt unmissverständlich, worum es geht.

Das ist eine bewusst gewählte Trigger-Warnung. So kann das Publikum entscheiden, ob und wie weit es mitgehen will