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Egomane mit Aknepusteln

Biografisches Fundament für zerklüftete Gewalt- und Irrsinnswelten: James Ellroys Storysammlung „Endstation Leichenschauhaus“

Dass er zigtausend Seiten Prosa in gleich bleibend hoher Qualität produzieren kann, hat James Ellroy mit seinen L.-A.- und Amerika-Trilogien längst gezeigt. Dass er auch die eher kleinen literarischen Formen beherrscht, beweist sein jüngst auf Deutsch vorliegender Storyband „Endstation Leichenschauhaus“. Dieser liefert zum einen neue literarische Anhaltspunkte über den Verfall der Welt aus der Sicht Ellroys. Zum andern ist er das biografische Fundament, auf dem Ellroy seine zerklüfteten Gewalt- und Irrsinnswelten errichtet hat.

Hier hält einer in seiner ihm eigenen Art Rückschau. „Ich betrachte L. A. als Eingeborener. Ich zog mir die Fakten rein und arbeitete sie nach Kindermanier um. Ganz unterschiedlichen Scheiß. Der gemeinsame Nenner bestand in Korruption und Obsession. Ich war ein Kind noir“, schreibt Ellroy über jene Zeit, als er noch Vater und Mutter hatte. Die Mutter wurde nur wenig später ermordet, der Täter konnte nie ermittelt werden. Er wächst bei seinem Vater zwischen Dosenbier, Pornoheften und Boxwetten auf. Als dieser stirbt, ist James Ellroy noch nicht erwachsen. „Sexualhass“ und „Rache“ seien für ihn seine bestimmenden kindlichen Antriebsmotive gewesen, schreibt Ellroy in der Story „Mit den Eiern zur Wand“.

Für seine Jugendzeit findet er mehr Worte: „Ich war ein unerfreulicher Mini-Misanthrop mit misslichen Begriffen von Hygiene. Ich war ein Egomane mit Aknepusteln.“ Um Mitschülern und vor allem Mitschülerinnen aufzufallen, schließt er sich der amerikanischen Nazi-Partei an. Als er merkt, dass das niemanden interessiert, tritt er wieder aus. Alkohol, Drogen, Obdachlosigkeit, Hunger, Huren, Gewalt, Knast – all das bestimmt Ellroys Leben zwischen 15 bis 25.

Der Übergang der autobiografischen zu den für Ellroy typischen Geschichten mit den üblich korrupten Journalisten und Politikern, brutalen und moralisierenden Cops, psychopathischen Mördern und Beamten, sex- oder drogensüchtigen Hollywoodstarlets und Privatdetektiven ist fließend. Man denkt gerade noch darüber nach, was die Schwierigkeiten des jungen Ellroy mit dem Stil und der Perspektive des mittlerweile fast 60-jährigen Schriftstellers zu tun haben könnten, schon ist man mitten in der nächsten Story, die sich um die Schmuddel- und Skandalpresse in L. A. dreht: „Wir wollen es wissen. Wer wen kennt. Wer wen ablutscht. Wer’s bringt. Wer’s regelmäßig treibt. Wer drauf steht. Wer das Sagen hat und wer die Moneten. Wir sind gierige Geier des Scheinbaren. Wir mästen uns am grell Authentischen. Das erhöht unser Lebensgefühl.“

James Ellroy gehört zu den wenigen US-amerikanischen Dichtern, die die Anschläge des 11. September 2002 und die folgenden Kriege bereits literarisch angegangen sind. Das Ergebnis ist „Dschihad in der Dschungelstadt“, wo es zum Showdown kommt zwischen fanatisch-faschistoiden Polizisten und vergnügungsgeilen, sexbesessenen Islamisten. Beide Gruppen wiederum haben es mit einem Gotteskrieger zu tun, der noch Darsteller für seine Bin Laden gewidmeten Metzelpornos sucht. Das ist die Welt Ellroys, in der es manchmal sogar noch Gute und Böse gibt. Nur zu erkennen geben sie sich nicht. MAIK SÖHLER

James Ellroy: „Endstation Leichenschauhaus“. Aus dem Amerikanischen von Stephen Tree. Ullstein, München 2005, 480 Seiten, 22 €

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