Die Maustage: Fünfsterneleben
Es ist Montagmorgen, ich bin mit meinem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit. Ich überquere unseren Prachtboulevard Unter den Linden und fahre in die enge Charlottenstraße, in der sich auf der rechten Seite eine Messingtür mit einer Maus als Türklinke befindet. Wann immer es der Verkehr zulässt, versuche ich die Türklinkenmaus in den Augenwinkeln wahrzunehmen. Die Maus ist für mich ein persönliches Zustandserkennungszeichen: Wenn ich sie sehe, bin ich topfit, und falls ich sie verpasse, weiß ich, dass ich gleich noch eine Tasse Kaffee trinken muss. An diesem Morgen sehe ich die Maus.
Kurz vor dem Regent Hotel, unweit des Gendarmenmarktes, ertönen Polizeisirenen. Eine Motorrad-Polizeieskorte begleitet einige dunkle schwarze Limousinen. Sie biegen vor mir in die Straße ein. Zwei Polizisten blockieren die Straße. Die Limousinen halten vor dem Regent Hotel. Männer mit Sonnenbrillen und feinen Anzügen steigen aus. Alles passiert in Sekundenschnelle, alles sieht unglaublich professionell aus. Ich bin beeindruckt und denke, dass ich nichts gegen solch ein Leben hätte: Polizeieskorte, Fünfsternehotel, Luxussuite mit Blick auf den Französischen Dom. Währenddessen sind die VIPS längst im Hoteleingang verschwunden. Der Polizist, der mich angehalten hat, zwinkert mir verschwörerisch zu. Hat er meine Tagträume erkannt? Na klar, denke ich, der muss Tag für Tag die Schönen und Reichen durch Berlin eskortieren und am Abend kommt er dann in seine kleine Dreizimmerwohnung mit schreienden Kindern zurück.
Die Polizisten brausen mit ihren Motorrädern davon, die Straße ist wieder frei, und der Tag kann weiter voranschreiten. Ich trete in die Pedale und sage mir: Na ja, eigentlich ist dein Leben, so wie es ist, ganz in Ordnung. Also Augen auf und einfach lächelnd weiter!
ALEM GRABOVAC
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