Hype um Dokuserien: Sex und Krokodile, die Gnus reißen

Dokuserien werden für Streaminganbieter immer beliebter, weil ihre Produktion weniger Geld kostet. Vor allem reißerische Themen setzen sich durch.

Ein Mann in rosa Hose und Cara Delevigne tanzen

Schauspielerin Cara Delevingne erkundet in der Dokuserie „Planet Sex“ weltweit Sexualität Foto: RTL

Auf dem Canneseries Festival, das gerade parallel zur internationalen TV-Messe MIPTV in Südfrankreich stattfindet, gab es zum ersten Mal eine eigene Sektion für Dokumentarfilme. In die Endauswahl für eine Auszeichnung kam auch der Vierteiler der Gebrüder Beetz, „Juan Carlos – Liebe, Geld, Verrat“, der Ende Mai bei Sky zu sehen sein wird. Die Macher sprechen dabei von einem „Doku-Thriller“ in „House of Cards-Manier“. Es geht um den spanischen König, der alle Zutaten eines spannenden Dramas bietet: geheime Liebesbeziehungen, Korruption, vielfältige Skandale.

Mit diesem Rezept für Dokuserien möchten vor allem die Streamingdienste ihr Angebot bereichern. Das hat auch einen wirtschaftlichen Hintergrund. Hochwertigste Filme oder Serien auf Abruf zu sehen, ist zur Selbstverständlichkeit geworden, aber noch kein Videoportal schreibt damit schwarze Zahlen. Denn fiktionale Inhalte sind teuer. 200 Millionen Dollar hat zum Beispiel „The Gray Man“ gekostet. Das können sich Netflix und Co immer weniger leisten. Die Lösung: gut gemachte serielle Dokumentationen. Die Produktion kann zwar immer noch bis zu 2 Millionen Euro pro Stunde kosten, oft aber auch weniger. Damit ist sie immer noch um einiges preisgünstiger im Vergleich zu Fiction und trotzdem ähnlich erfolgreich. „MH370: Das verschwundene Flugzeug“ war im März etwa auf Netflix in den deutschen Serien-Top-Ten vertreten.

Die Erzählstrukturen sind verwandt

Der englische Produktionsgigant Fremantle konzentriert sich deswegen immer mehr auf das Genre. Dort entstand beispielsweise die vierteilige Modeserie „Kingdoms of Dreams“, die inzwischen in über 100 Ländern gestreamt beziehungsweise ausgestrahlt wird. Genauso erfolgreich war auch die Reihe „Planet Sex“ mit Schauspielerin und Top Model Cara Delavigne, die in sechs Episoden dabei begleitet wird, wie sie die Welt bereist und den Umgang von Sexualität in verschiedensten Kulturen erkundet.

„Wenn man solche Geschichten erzählt, überlegt man vorher, mit wem man Interviews führt, welches Archivmaterial eingesetzt werden kann“, sagt Jens Richter, Geschäftsführer International bei Fremantle. „Dann wird ein Drehbuch für die Episoden entwickelt, danach geht es in die Produktion und schließlich in den Schnitt. Solche Dokumentationen sind ähnlich aufgebaut wie fiktionale Serien und können auf ähnlichen Sendeplätzen laufen, da sie hochwertig produziert wurden. Die Erzählstrukturen sind verwandt.“

Auch Marcus Uhl von Bilderfest, der gerade für Sky Studios „1972 – Münchens schwarzer September“ realisiert hat, schätzt den neuen erzählerischen Stil: „Hier wird vor allem mit O-Tönen beziehungsweise Interviews, dokumentarischem Originalmaterial sowie Reenactments gearbeitet.“ Der berühmte „erhobene Zeigefinger“ indessen, etwa durch Kommentare, kommt gar nicht mehr zum Einsatz.

Wenig Raum für subtilere Themen

Den aktuellen Trend sieht der Naturfilmer Jan Haft von Nautilusfilm für seinen Bereich mit einem „weinenden und einem lachenden Auge“: „Die großen Streamingdienste gehen zwar auch in das Genre Tierfilm rein, aber die Produktionen müssen hier viel spektakulärer sein, damit sie den Massenmarkt erreichen beziehungsweise die Refinanzierung gesichert werden kann. Das Geschäft steht da absolut im Vordergrund.“

Dokus über nicht so populäre Tierarten, Lebensräume oder Landschaften würden dann wegfallen: „Nichts gegen atemberaubendes Tierverhalten, das bei uns auch immer wieder Thema ist, aber wenn der alleinige Fokus ist, dass man beispielsweise immer nur Filme zeigt, in denen Krokodile Gnus reißen, dann fallen subtilere, intellektuellere Themen weg. Aber die haben ja auch ihre Zuschauerschaft.“ Die Filme des Produzenten sind vielfach preisgekrönt. Seine Dokumentationen „Magisches Island“ und „Wilde Tierkinder“ haben sich in 40 Ländern verkauft.

Auf der MIPTV wurde klar, wie sehr reißerische Themen im Dokugenre gefragt sind. Aktuell sind deswegen zahlreiche Projekte in Arbeit, die sich mit Verschwörungstheorien befassen.

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