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: Blei-Weiße Schwere

Hertha BSC sollte den Weg in Liga zwo als Chance begreifen, denn da holt man neuen Schwung, vielleicht

Wenn die Vision vom Big-City-Club obsolet ist, wie Hertha-Präsident Kay Bernstein bei jeder Gelegenheit betont, dann ist es nur konsequent, wenn die Berliner wie ein Provinzverein auftreten. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie sich demnächst unter Gleichen treffen – in Fürth, Kiel oder Paderborn. Bernsteins U-Turn ist nicht unredlich, will er doch den Größenwahn der vergangenen Jahre, befeuert von externen Investoren, konterkarieren und Hertha BSC näher an die Wirklichkeit heranführen. Die sieht derzeit düster aus.

Das Abstiegsduell auf Schalke offenbarte sämtliche Defizite des Berliner Spiels. Immer dann, wenn Kevin-Prince Boateng als malader Prätorianer aufs Feld geschickt wird, um die gegnerischen Linien zu durchstoßen, dann ahnt auch der letzte Fan der Blei-Weißen: Es ist sehr, sehr ernst. An der Seitenlinie verwaltete Sandro Schwarz den Niedergang. Bis Sonntagmittag. Dann übernahm Pal Dardai. Dass der nicht unsympathische Übungsleiter Schwarz am Freitag die Seinen in Gelsenkirchen überhaupt noch anführen durfte, ist dem neuen Stil in Charlottenburg geschuldet. Die üblichen Usancen der Liga greifen schon mal ins Leere. Man will Dinge anders machen, irgendwie halt. Aber das ging jetzt nicht mehr. Es musste also doch ein „Retter“ ran.

Und so verbleibt die Hertha in den Schemen des Profifußballs. Tief drinnen wird Bernstein aber auch wissen, dass Herthas Neuanfang nicht in Liga eins gelingen kann. Der Verein braucht nicht nur eine ideelle Generalüberholung, sondern auch eine personelle. Konsequenz ist gefragt. Zeit bräuchten die handelnden Akteure, ein dickes Fell sowieso. Das kann alles furchtbar schiefgehen, wenn man vorgibt, das Rad neu erfinden zu wollen – und doch nur schnöde scheitert mit dem Umbau.

Anderswo in der Liga reden sie weniger über die Wünsche der Ultras und von ihrem romantischen Blick auf den Fußball, da ist einmal mehr von der Wichtigkeit der Investoren die Rede. Dortmunds Aki Watzke und Union Berlins Dirk Zingler sagten in einem Interview, mehr Geld müsse beschafft werden, freilich dürften die Geldgeber nicht mehr Einfluss auf den Verein gewinnen. Das ist so paradox wie der Weg Herthas in den vergangenen Jahren: Wascht mir den Pelz, aber macht mich nicht nass. Oder anders: Her mit der Kohle – und Ruhe im Karton! Watzke und Zingler müssten sich nur das abschreckende Berliner Beispiel anschauen, um zu begreifen, dass sie der Quadratur des Kreises das Wort reden. Aber darin liegt auch ein Reiz der Bundesliga: dass sie europäische Sonderwege als Via Regia ausgibt. Markus Völker