Pentagon-Leaks in den USA: Verschlossene Augen in Washington
US-Präsident Joe Biden gibt sich angesichts der Pentagon-Leaks „nicht besorgt“. Der Umgang mit den Enthüllungen erinnert an die Zeit von Wikileaks.
Die Fragen, wie echt sie sind, wie manipuliert sie sind und wer sie geleakt hat, beschäftigen gegenwärtig zumindest die Regierungen in den USA, der Ukraine und Russland.
Während Verteidigungsminister Lloyd Austin in Washington nötigenfalls „jeden Stein umdrehen“ will, um die undichte Stelle herauszufinden, besteht US-Präsident Joe Biden darauf, dass er „nicht besorgt“ sei. Bei einer Pressekonferenz am Donnerstag erklärte er, dass eine „umfassende Untersuchung“ laufe und man „nah der Antwort“ sei. Nach seiner Ansicht enthält das Datenloch „nichts Kontaminiertes“.
Ex-Präsident Donald Trump nennt die ganze Sache das „Peinlichste“, das den USA je passiert sei, und macht Biden persönlich verantwortlich. Offiziell tappen die Ermittler weiterhin im Dunkeln.
Abgetippte Details
Die Washington Post hingegen hat einen – nicht namentlich genannten und nicht volljährigen – Interviewpartner gefunden, der den Informanten im Internet gekannt haben will. Der Interviewpartner nennt den Informanten „OG“ und sagt, dieser habe auf einer „US-Militärbasis“ gearbeitet, sei mit Regierungsgeheimnissen vertraut, sei über 20 Jahre alt und „sehr schlau“. Nach Ansicht des Interviewpartners habe der Leaker gewusst, dass er Illegales tat. „Er war der Leader unserer Gruppe“, sagte der Interviewpartner der Washington Post, „er wollte, dass wir informiert und fit sind“.
Das Weggucken in Washington erinnert an die Zeit vor einem Jahrzehnt, als die Enthüllungsplattform Wikileaks der Hauptfeind der US-Behörden zu sein schien. Damals sperrte die US-Regierung den Zugang zu Wikileaks-Webseiten auf den Dienstcomputern ihrer Beschäftigten.
Auch die „Pentagon Files“ sind erstmals im Internet erschienen. Nach Informationen von US-Medien und des niederländischen Recherchediensts Bellingcat tauchten erste Details bereits vor Jahreswechsel auf. Es soll sich dabei um abgetippte Inhalte aus Geheimdokumenten gehandelt haben. Ab Januar speiste jemand fotografierte Dokumente in eine Chatgruppe des Servers Discord, der auf Computerspiele und ein jugendliches Publikum spezialisiert ist.
Die Chatgruppe, die inzwischen gelöscht ist, trug zeitweise den Namen „Thug Shaker Central“. Sie soll während der Pandemie entstanden und gewachsen sein und oft auch andere Namen gehabt haben – darunter auch offen rassistische.
Die rund zwei Dutzend jungen User der privaten Chatgruppe teilten die Faszination für Schusswaffen, Militärgerät (inklusive Kleidung), Gott und Rennwagen. Gemeinsam waren ihnen auch die Sympathie für das orthodoxe Christentum, für einen Youtuber namens „Oxide“. Oxide läuft vor der Videokamera mit schwerem Geschütz herum und ballert und vertritt die bei Rechten in den USA weit verbreitete Einschätzung, dass man „der Regierung“ nicht trauen könne. Aber längst nicht alle ihre Postings sollen politischen Charakter gehabt haben.
„Die Spitze des Eisbergs“
Es ist unklar, wie und wann das Material von der kleinen Chatgruppe auf dem Server Discord auf die Plattform „4Chan“ geraten ist, auf der sich radikale Rechte in den USA tummeln und die auch im Vorfeld des gewalttätigen Sturms auf das US-Kapitol vom 6. Januar 2021 eine Rolle gespielt hat.
Die US-Ermittler wurden offenbar erst hellhörig, nachdem die geleakten Dokumente von 4Chan auf prorussische Telegram-Kanäle weitergeleitet worden waren. Auf diesen Kanälen sind nach Recherchen von Bellingcat Versionen der Dokumente erschienen, deren Daten manipuliert waren. Unter anderem schrumpften die Todeszahlen der russischen Militärs radikal zusammen.
Die US-Regierung und die große Öffentlichkeit hat erst kurz vor Ostern von den Dokumenten erfahren. Auch in dieser Woche weiß Präsident Bidens Sprecher für die Nationale Sicherheit, John Kirby, noch nicht, wie viele Dokumente tatsächlich in Umlauf sind und noch an die Öffentlichkeit geraten könnten. Aus dem Verteidigungsministerium in Washington verlautet, dass bislang erst die „Spitze des Eisbergs“ bekannt sei.
In der Ukraine und in Russland liefern die Regierungen unterschiedliche Dementis. Sie reichen von „falsche Angaben“ bis hin zu der Mitteilung „grobe Manipulation“.
Auf mehreren der Fotos von Dokumenten, die jetzt im Internet kursieren, ist im Hintergrund Handwerkszeug zu sehen, darunter der Klebstoff „Gorilla Glue“. Beobachter folgern daraus, dass die Dokumente vor den Augen der Behörden in den USA manipuliert worden sind. Da in dem aufgeblähten Sicherheitsapparat der Vereinigten Staaten mindestens 1,25 Millionen Menschen Zugang zu offiziellen Geheimnissen haben, ist die Zahl der potenziell Verdächtigen erheblich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Die Brennelementefabrik und Rosatom
Soll Lingen Außenstelle von Moskaus Atomindustrie werden?
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen