Radfahrerin war nicht zu retten

Keine Anklage wegen fahrlässiger Tötung gegen Klimaschützer

Von Christian Rath, Freiburg

Zwei Aktivisten der Letzten Generation werden nicht wegen des Tods einer Berliner Radfahrerin im letzten Herbst angeklagt. Das entschied jetzt die Staatsanwaltschaft Berlin. Deren Straßenblockade sei für den Tod der Frau nicht kausal gewesen.

Am 31. Oktober letzten Jahres rammte und überrollte ein Betonmischer die 44-jährige Modedesignerin Sandra Umann auf ihrem Fahrrad. Das mittlere Rad des Baufahrzeugs blieb auf dem Bein von Umann stehen. Eintreffende Helfer riefen deshalb einen Rüstwagen der Feuerwehr, um den Betonmischer anzuheben. Doch der Rüstwagen geriet in einen Stau, den eine Aktion der Letzten Generation verursacht hatte. Fünf Kilometer vom Unfallort entfernt waren zwei Aktivisten, 59 und 63 Jahre alt, auf eine Schilderbrücke der Berliner Stadtautobahn A  100 geklettert. Dort klebten sie sich fest und entrollten ein Transparent. Daraufhin sperrte die Polizei die Autobahn teilweise, was einen langen Rückstau verursachte. Der Rüstwagen kam deshalb mit achtminütiger Verspätung zum Unfallort. Dort wurde er nicht mehr eingesetzt, denn die Notärztin vor Ort hatte bereits entschieden, den Betonmischer vom Bein der Radlerin herunterfahren zu lassen.

Die Radfahrerin starb wenige Tage später im Krankenhaus an den Folgen des Unfalls. Schnell kam der Vorwurf auf, dass Umann ohne die Aktion der Klimaschützer noch leben könnte. Im Raum stand der Verdacht einer fahrlässigen Tötung, die laut Strafgesetzbuch (Paragraf 222) mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren sanktioniert werden kann.

Die Staatsanwaltschaft lehnte nun aber eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung ab. Aus zwei unabhängigen Gründen sei die Blockade für den Tod von Umann nicht ursächlich gewesen. Zum einen sei es „notfallmedizinisch“ besser gewesen, den Betonmischer wegzufahren und ihn nicht aufwendig anzuheben, weil so das schwerverletzte Bein schneller versorgt und vor allem die Blutung schneller gestillt werden konnte. Auch wenn der Rüstwagen acht Minuten früher gekommen wäre, hätte die Ärztin aus medizinischen Gründen auf ihn verzichten müssen. Zweitens habe ­Umann ohnehin keine Chance gehabt, zu überleben. Unabhängig von den möglichen Rettungsmaßnahmen am Unfallort wäre sie auf jeden Fall kurz danach gestorben. Die Staatsanwaltschaft stützte sich bei ihrer Entscheidung nicht nur auf die Einschätzung der handelnden Notärztin, sondern auch auf eine Stellungnahme des ärztlichen Leiters des Rettungsdiensts der Feuerwehr sowie auf ein Gutachten von Michael Tsokos, der das Institut für Rechtsmedizin der Charité leitet.

Die beiden Klimaschutz-Aktivisten werden nun ausschließlich wegen Nötigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte angeklagt. Diese Vorwürfe haben nichts mit dem Tod der Radfahrerin zu tun, sondern beziehen sich nur auf die Aktion an der Schilderbrücke der Stadtautobahn. Wann das Berliner Amtsgericht Tiergarten hierüber verhandelt, ist noch nicht bekannt. Die Entscheidung der Berliner Staatsanwaltschaft betrifft ausschließlich diesen Einzelfall. Bei einer anderen Blockade, die die Hilfe bei einem anderen Unfall behindert, kann die Kausalität wieder ganz anders aussehen. Letztlich können unabsehbare Kleinigkeiten darüber entscheiden, ob eine Blockade den Tod eines Menschen (mit)verursacht.

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