Ausgehen und rumstehen von Stephanie Grimm
: Versunken im Schlamm der ungarischen Tiefebene

Foto: taz

Immerhin: Vor dem langen Regen ein Frühlingszucken. Aus dem Charlottenburg-Termin am Donnerstag ergibt sich ein Spaziergang, was in der Ecke immer Spaß macht. Vielleicht, weil einiges angenehm aus der Zeit gefallen wirkt. Geradezu kapitalismusfern präsentiert sich ausgerechnet der gerne bürgerlich genannte Stadtteil. Etwa auf der Goethestraße, wo ich am Laden des selbsternannten Faltraddirektors vorbeilaufe. In den ich durchaus gerne mal reingehen würde, wo ich jetzt doch auch ein solches Faltrad habe. Doch immer, wenn ich hier langkomme, ist zu. Nun, er macht eben um 16 Uhr 16 auf, für 3 Stunden und drei Minuten. Recht hat er ja. Seine Arbeitszeiten sind die Zukunft, hoffentlich. Aber wir werden so wohl nie zusammenkommen.

Plötzlich ist es warm. Kurz hänge ich meine Jacke über den Zaun, um eine Schicht auszuziehen. Dreißig Meter weiter macht ein Mann das gleiche, seine Jacke ebenfalls am Zaun. Wie die Vorbereitung eines absurden Duells. Er muss auch lachen.

Beim Vorbeispazieren an der Galerie CO Berlin fällt mir ein, dass ich da unlängst nach ein paar Minuten rausgestolpert bin. Weil es so voll und stressig war, an jenem Sonntag. Gut für die anderen, die sich drängelten, denn am nächsten Tag tropfte die Nase und der Test war positiv.

Der wochentägliche frühe Nachmittag erweist sich als super Zeitpunkt, um die farbsatten, melancholischen, bisweilen unheimlichen Bilder von William Eggleston nachzuholen. Fast alleine bin ich hier. Obwohl in dem halben Jahrhundert, seit die Bilder erstmals veröffentlicht (und seinerzeit gedisst) wurden, das Einfangen des schäbigen Alltags ein Allerweltshobby geworden ist: Irgendwie blickt man nach dem Rundgang durch toll komponierte Beiläufigkeiten mit anderen Augen auf die Welt da draußen. In der ist der Frühling schon wieder vorbei. Es hat angefangen zu regnen. Fast tropisch, mit Gewitter.

Der Regenradar verspricht: einen Kaffee, danach sollten 20 Minuten auf dem Rad machbar sein. Am nächsten Tag schüttet es noch immer. Einstimmung für den Film, der am Abend im Silent Green gezeigt wird. Über sieben Stunden geht „Sátántangó“ von Béla Tarr; selten bietet sich die Gelegenheit, die monochrome Verfilmung von László Krasznahorkais Roman in passendem Ambiente zu sehen. Für einen DVD-Abend auf dem Sofa sind minutenlange Einstellungen über eine Dorfgemeinschaft im Niedergang nicht so das Richtige.

Es gibt heute ein neues Score, an dem ein halbes Dutzend Ex­pe­ri­men­tal­mu­si­ke­r:in­nen mitgewirkt haben, die Hornistin Elena Kakaliagou etwa oder der aus Nairobi stammende Ambient-Tüftler Joseph Kamaru aka KMRU. Die allerdings performen unsichtbar fürs Publikum, hinter der Leinwand, zusätzlich zur Originalmusik von Mihály Víg. Erstaulicherweise verschmelzen die beiden Ebenen geschmeidig. Víg spielte im Film auch eine Rolle, die des eloquenten angeblichen Heilsbringer. Heute aber spielt er mit einem überbordenden Bläserensemble auf – die einzigen, die vor der Leinwand spielen.

Die Sitzsituation in der Betonhalle ist suboptimal. Ein paar Glückliche haben Sitzsäcke ergattert und eine Decke dabei. Die meisten sitzen in Stuhlreihen, bleiben aber trotzdem. Die, die aufgeben, tun das überwiegend in der ersten Stunde, was schräg anmutet. Zufällig ist man hier schließlich kaum gelandet. Erstaunlicherweise hat der Film, der unter anderem von bleierner Langeweile und Monotonie erzählt, kaum Längen. Sogar um aufs Klo zu gehen, muss man sich dem Sog entreißen. Danach ruft das Bett umso lauter. Der Taxifahrer wundert sich über die vielen Menschen, die um halb vier Uhr auf der Straße stehen. „Wo ist hier ein Club?“ fragt er. Nach sieben Stunden in einem im Matsch versinkenden Dorf fühlt sich der Berliner Dauerregen leicht und frühlingshaft an.