Immerhin gute Stimmung

Die DFB-Elf kann sich im Testspiel gegen Belgien über das Ergebnis freuen. Bei der 2:3-Niederlage zeigt das Team wieder einmal eklatante Schwächen in der Defensive

Den Schrecken im Nacken: Matthias Ginter wirkt nach einem belgischen Gegentreffer recht angefasst Foto: dpa

Aus Frankfurt Frank Hellmann

Es war die erstaunlichste Erkenntnis eines anfangs so ernüchternden Fußballabends, dass das Publikum in Köln-Müngersdorf kein gellendes Pfeifkonzert anstimmte. Vielleicht ist die Kundschaft des heimischen 1. FC Köln einfach einiges gewohnt, vielleicht trägt auch das frohgelaunte rheinische Gemüt einiges dazu bei. Die trotz der Niederlage beim Härtetest gegen Belgien (2:3) erteilte Aufmunterung kann die deutsche Nationalelf jedenfalls auf dem möglicherweise recht beschwerlichen Weg zur Heim-EM 2024 gut gebrauchen.

Denn fast eine halbe Stunde machte sich das DFB-Team fast schon lächerlich, wirkte das Gefüge noch brüchiger als bei der WM in Katar. „Die ersten 15 Minuten waren ganz schlimm. Wir waren nicht hungrig, viel zu fehleranfällig“, konstatierte Kapitän Joshua Kimmich. Exemplarisch für die verlorene Haltung stand sein Nebenmann Leon Goretzka, der schon gegen Peru (2:0) mit Alibi-Gekicke aufgefallen war. Er musste allerdings eh nach einer halben Stunde angeschlagen vom Platz.

Dass es auch anders geht, bewies der für ihn eingewechselte Emre Can, der auf Anhieb Zweikämpfe gewann, Bälle eroberte, Räume schloss. „Ich habe versucht, das zu tun, was ich vielleicht am besten kann“, sagte der Profi von Borussia Dortmund. Mit der Umstellung auf eine 4-3-3-Formation und dem 29-Jährigen als robusten Sechser spielte die DFB-Auswahl eine Stunde lang auf Augenhöhe mit, wahrte mit Moral und Kampfgeist wenigstens ihr Gesicht.

Bundestrainer Hansi Flick bestätigte die These, dass seine weiterhin um Halt ringende Hintermannschaft den Beschützer Can dringend braucht: „Man muss sagen, dass Emre gezeigt hat, was für eine defensive Qualität er hat.“ Der 58-Jährige bestätigte indirekt, dass das in München funktionierende Duo Kimmich/Goretzka vorerst im Nationalteam ausgedient hat.

Neben dem „aggressiven Leader“ (Flick über Can) wirkte der selbstbewusste Debütant Felix Nmecha belebend, der den indisponierten Florian Wirtz erlöste. Der in seiner Heimatstadt ausgewechselte Jungstar von Bayer Leverkusen müsse da „jetzt durch“, bekannte Flick, „ihn spornt das eher an“. Es könnte aber auch sein, dass der 19-Jährige in ein Loch fällt. So ähnelt die Nationalelf einer riesigen Baustelle.

„Viel Arbeit“ hat Flick ausgemacht, der mit seiner Analyse hart die Grenze zur Schönfärberei streifte: „Auch wenn das Ergebnis nicht gepasst hat, waren wir mit den Erkenntnissen zufrieden.“ Ist der Anspruch derart tief gesunken? Mit solchen Aussagen macht sich der Fußballlehrer angreifbar. Rekordnationalspieler Lothar Matthäus erklärte in seiner Funktion als TV-Experte, er habe „das Schlechteste in seiner langen Laufbahn“ von der Nationalmannschaft gesehen.

Bezeichnend, dass sich in wenigen Monaten mit Niclas Füllkrug ein Newcomer zum Führungsspieler entwickelt hat, der vor anderthalb Jahren noch um einen Stammplatz beim damaligen Zweitligisten SV Werder kämpfte. Der Bremer Torjäger erzielte mit einem Handelfmeter sein sechstes Länderspieltor im sechsten DFB-Einsatz. Der 30-Jährige ist gesetzt in einer Elf, die ihren nächsten Auftritt im Juni passenderweise im Bremer Weserstadion gegen die Ukraine hat. Es wird das 1.000. Länderspiel in der DFB-Geschichte sein; und schon wegen Füllkrug muss niemand dort leere Ränge befürchten.

Trainer Flick bewegte sich nah an der Grenze zur Schönfärberei

Wenn sich dem Benefizspiel gegen die Ukraine ein Test in Warschau gegen Polen und ein weiteres Freundschaftsspiel in Gelsenkirchen anschließen, müsste die Experimentierphase weitgehend beendet sein – und dringend wieder Antonio Rüdiger als Chef der Viererkette auflaufen, in der Thilo Kehrer innen, Marius Wolf und David Raum außen zeitweise ziemlich überfordert waren.

„Es muss einmalig bleiben, dass wir solche 25 Minuten gesehen haben“, sagte Flick, der als Kardinalfehler die Passivität seiner Mannschaft nannte: „Wir waren einfach nicht so aggressiv.“ Doch das war nur die halbe Wahrheit, denn Flick hatte sich von seinem Gegenüber Domenico Tedesco („Wir wollten sie überraschen und schocken in den ersten Minuten“) auch taktisch überrumpeln lassen. Der Plan des 37-Jährigen ging dank der Klasse seines Offensivtrios Romelo Lukaku, Kevin De Bruyne und Yannick Carrasco auf. Die drei bescherten Belgien mit ihren Toren den ersten Sieg gegen Deutschland seit 1954. Und bestätigte den Verband nebenbei darin, nach dem WM-Debakel den Trainer gewechselt zu haben.