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Olaf Scholz in CottbusDialog mit dem Kanzler

Olaf Scholz trifft Bür­ge­r:in­nen zum Kanzlergespräch in Cottbus. Die Leute wollen Antworten zum Ukraine-Krieg, zur Rente und zum Fachkräftemangel.

Die Leute haben viele Fragen an Olaf Scholz am 7. März in Cottbus Foto: Soeren Stache/dpa

Cottbus taz | Doreen Rotter hat sich akribisch vorbereitet. Eine ganze Mappe mit Fakten und Fragen hat die 49-jährige Leiterin einer Pflegeeinrichtung für Senioren und Menschen mit Behinderung in Cottbus angelegt. Auf mehreren Seiten hat sie aufgeführt, was aus ihrer Sicht im Argen liegt. Beispiel Ausbildung: Viele Plätze bleiben offen, bis 2030 werden etwa 300.000 Pflegekräfte fehlen – „erschreckende Zahlen“. Rotter hat auch gleich Vorschläge unterbreitet, was aus ihrer Sicht verbessert werden könnte. „Und diese Mappe möchte ich Olaf Scholz heute Abend übergeben“, sagt sie.

Rotter ist in die Stadthalle Cottbus gekommen, ein Gebäude im funktionalen Stil des DDR-Realismus. Im Foyer hängen Veranstaltungsplakate, die Nicole und ihre Ich-bin-zurück-Tour, Karat und die Prinzen ankündigen. Der Star des heutigen Abends aber ist Olaf Scholz, seine Show heißt Kanzlergespräch. Im Verlauf seiner Amtszeit möchte er damit durch alle 16 Bundesländer touren. An diesem Dienstag ist er zum zweiten Mal im Osten Deutschlands, in der Lausitz-Metropole Cottbus, wo alle Straßennamen auf Deutsch und auf Sorbisch sind.

Die Regionalzeitungen haben ihre Le­se­r:in­nen ermuntert, sich für das Kanzlergespräch anzumelden, 400 haben das getan, 150 von ihnen wurden per Los ausgewählt. Sie können fragen, was sie wollen, „bunt durch den Gemüsegarten“, wie die Moderatorin betont. Die Fragen sind nicht vorsortiert, das Publikum nicht gecastet. Cottbus’ SPD-Bürgermeister hatte zuvor ein Interview gegeben und beklagt, dass die Stadt bei der Unterbringung und Beschulung Geflüchteter an ihre Grenzen stoße. Er rechne mit vielen Bürgerfragen zu dem Thema.

Doch es kommt zunächst keine einzige. Das Publikum in der Stadthalle, mehrheitlich weiß, überwiegend mittleren bis fortgeschrittenen Alters, treibt eher das Gegenteil um: der Mangel an Menschen in der Region.

Die jungen Leute fehlen

Bis in die frühen Nullerjahre war die Arbeitslosigkeit das allgegenwärtige Thema im Osten. Die ehemals volkseigenen Betriebe waren verkauft, viele geschlossen worden, „abgewickelt“, wie es hieß. Inzwischen ist die Generation der einstigen Arbeitslosen in Rente, wer jung war und keinen Ausbildungsplatz fand, ging in den Westen. Fast vier Millionen Menschen haben den Osten seit Anfang der 90er gen Westen verlassen. Inzwischen sind es die fehlenden Arbeitskräfte, die die Wirtschaft im Osten ausbremsen.

Britta Krautzig ist aus diesem Grund aus Königs Wusterhausen angereist. Krautzig und ihr Mann haben sich gleich nach der Wende mit einer Tischlerei selbständig gemacht. Der Betrieb läuft, „ich arbeite jeden Tag gern“, erzählt sie lächelnd. Neulich hätten sie einen vier Meter langen Tisch aus einem Stück gefertigt. Aber in zehn Jahren will sie in Rente gehen, und es gebe niemanden, der den Betrieb übernehmen wolle. Sie möchte den Kanzler fragen, was er tun wolle, damit kleine Handwerksbetriebe eine Zukunft haben. „Mal sehen, ob ich drankomme“.

Doch mit Krautzig heben auch andere die Hand und werden aufgerufen. Es geht um den Ärztemangel auf dem Land – „Was ist mit dem 85-Jährigen, der keinen Hausarzt mehr hat“–, die fehlenden Fachkräfte in der Pflege – „Was tut die Regierung, damit die Pflege attraktiv bleibt“ oder im öffentlichen Dienst – „Es gibt kaum noch Leute, die in der Justiz arbeiten wollen.“

„Mir als ehemaligem Rechtsanwalt müssen Sie nicht sagen, dass ich mir wünsche, dass mehr Leute in der Justiz arbeiten“, antwortet Scholz der jungen Frau, die diese Frage an ihn richtet. In den Bürgergesprächen lässt der Kanzler Scholz den Menschen Olaf Scholz aufblitzen, er will nahbar und verständlich rüberkommen, nicht, wie in öffentlichen Auftritten vor Medien, kryptisch und zuweilen abgehoben.

Heimspiel beim Thema Ukraine

So etwa, als es um den Krieg in der Ukraine geht. Eine ältere Frau mit Perlenkette hat sich gemeldet und wird gleich als Dritte drangenommen. Sie gehöre zu nicht zu den Querdenkern und auf keinen Fall zu den Rechten, sagt sie und blickt auf ihren Zettel. Aber zu jener Generation, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg aufgewachsen sei und die Verbrechen Deutschlands insbesondere gegenüber der damaligen Sowjetunion vermittelt bekam.

Sie spricht das Manifest für den Frieden an, in welchem die Publizistin Alice Schwarzer und die Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht ein Ende des Krieges und den Stopp von Waffenlieferungen an die Ukraine fordern und das mittlerweile über 730.000 Menschen unterschrieben haben. „Was ist falsch daran, lieber Bundeskanzler, auf Verhandlungen zu setzen, mit derselben Energie, wie man Waffenlieferungen vorantreibt?“, will sie wissen.

Scholz bedankt sich für die Frage, er finde es gut, dass bei diesen Bürgergesprächen Fragen anders besprochen würden, als sie öffentlich verhandelt werden. Da schwingt Genugtuung mit, Scholz fühlt sich bestätigt. Denn auf der politischen Bühne muss sich der Kanzler dafür rechtfertigen, dass er nicht schnell und entschlossen genug Waffenlieferungen an die Ukraine unterstützt habe. Er wird als Zauderer verspottet.

Doch in den Bürgergesprächen mahnen Menschen zur Zurückhaltung und loben ihn für seine Besonnenheit. Scholz reagiert empathisch – „Es ist gut, dass wir sprechen.“ Er kenne viele ältere Menschen, die sich an den letzten Krieg erinnerten und denen „wie Kopfkino einfällt, was sie damals erlebt haben.“

Abfuhr für Reichsbürger

Aber man müsse ein angegriffenes Land unterstützen, sagt der Kanzler, Putin müsse verstehen, dass es nicht ginge, „ein Stück seines Nachbarn zu fressen“. Einfach nur zu verhandeln, reiche deshalb nicht aus, mit der Waffe an der Schläfe könne man nur die eigene Kapitulation unterschreiben, erklärt Scholz. Im Grunde hält er seine Rede zu einem Jahr Zeitenwende, wie er sie vor einer Woche auch im Bundestag gehalten hat, nur diesmal in einfacheren Worten und mit mehr Emotion. Das kommt an, einige im Publikum klatschen sogar.

Noch kräftiger ist der Applaus, als Scholz einem weißhaarigen Mann eine Abfuhr erteilt, der die BRD als Vasallenstaat der USA bezeichnet. Mit Reichsbürger-Thesen will das Cottbuser Publikum erkennbar nichts zu tun haben.

Scholz macht aber auch deutlich, dass der Krieg wohl länger dauern werde. „Wir müssen uns leider darauf einstellen“. Selbst als er ankündigt, die „Verteidigungsindustrie“ – das Wort „Rüstungsindustrie“ vermeidet er – müsse auf kontinuierliche Produktion umstellen, bleiben die Menschen im Saal gelassen. Keine Pfiffe, keine Eier. Von Skepsis gegenüber den politischen Eliten ist in der Stadthalle wenig zu spüren, was auch daran liegen mag, dass Leute, die Zeitungen lesen, sich für Politik interessieren und ein Grundvertrauen in die Demokratie haben.

Das geht auch aus den Fragen hervor. Wie es nach der Kabinettsklausur in Meseberg bei der Kindergrundsicherung vorangehe, will eine Frau wissen. Ein Mann möchte erfahren, ob Scholz in dem Hühnerhaufen von Koalition nicht manchmal auf den Tisch hauen wolle. Fragen, die Scholz sonst eigentlich im Tagesgeschäft von Jour­na­lis­t:in­nen gestellt werden, und denen er an diesem Abend nicht abwehrend, sondern wohlwollend begegnet.

Einwanderung bitte nur für nützliche Migranten

Wenn man Streit vermeiden wolle, antwortet der Kanzler, tue man am besten gar nichts. Die Ampel aber wolle die Sachen anpacken, „mit ein bisschen weniger Getöse, wenn’s nach mir ginge.“ Aha. Das hatte er in Meseberg so nicht gesagt. Die Kindergrundsicherung, auch das wird nun deutlich, wird wohl 2025 kommen, aber wenn es nach dem Kanzler geht, in der abgespeckten FDP-Variante, als Digitalplattform, die Leistungen bündelt und die Menschen besser informiert.

Dann wird doch noch das Thema Migration angesprochen. Eine Frau, die sich als Kommunalpolitikerin vorstellt, fragt, wie die Bundespolitik die Gemeinden besser unterstützen könne, auch bei der Integration von Migranten. „Denn wenn wir den Bürger nicht mitnehmen, wird er aggressiv.“

Scholz stellt Abkommen mit den Herkunftsländern in Aussicht, wie jenes mit Indien, das schon „blendend funktioniert“, nach dem Prinzip: „Wir kriegen IT-Experten, Indien nimmt aber auch Leute unproblematisch zurück, die wir zurückschicken.“ Einwanderung nach deutschen Nützlichkeitserwägungen, das überzeugt die Menschen in Cottbus.

Nicht alle Fragen beantwortet Scholz an diesem Abend. Einige, weil er nicht will. Zweimal wird er gefragt, warum Beamte nicht in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen. Scholz weicht aus, das Konzept Bürgerversicherung nennt er nicht, obwohl die im Wahlprogramm der SPD steht.

Anderen Fragern muss sich der Kanzler nicht stellen, weil sie nicht aufgerufen werden. Zwei Politik-Studenten, die an der Viadrina-Universität in Frankfurt/Oder studieren und seit einem halben Jahr auf ihre 200 Euro Energiekostenpauschale warten, wollten eigentlich wissen, was Scholz aus diesem Desaster mitnimmt. Aber die Frage wird nicht aufgerufen. „Studierende haben auch diesmal keine Rolle gespielt“, resümieren sie. Ein Selfie mit dem Kanzler machen sie dennoch.

Auch die gesprengte Nordstream-Pipeline, wo Spuren nun in die Ukraine weisen, spricht niemand an. Vermutlich weil diese Nachricht aufploppt, als das Kanzlergespräch längst begonnen hat und die Bür­ge­r:i­nnen brav ihre Handys ausgeschaltet haben.

Doreen Rotter verzichtet auf ein Selfie. Sie findet zwar, dass Scholz ein „charmanter Redner“ ist. „Aber ein Gespräch war’s nicht. Dazu hätte man auch die Möglichkeit haben müssen, etwas zu erwidern. Das hat gefehlt.“ Ihre Mappe hat sie einer Mitarbeiterin des Bundespresseamtes übergeben. Dort stehen auch ihre Kontaktdaten. „Mal sehen, ob sich jemand meldet.“ Das wäre dann schon eine Art Dialog zwischen ihr und dem Bundeskanzleramt.

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