Den anderen zuhören

Bei der MaerzMusik stellt der Dokumentarfilm „Deep Listening“ das inklusive Schaffen der Drone-Pionierin Pauline Oliveros vor

Von Tim Caspar Boehme

„Ich höre gern Dingen zu, die andere normalerweise ignorieren.“ Unter den Komponisten des 20. Jahrhunderts, die Prozesse angestoßen haben, die bis heute anhalten, zählt die US-Amerikanerin Pauline Oliveros zu den wichtigsten Stimmen. Zugleich hat ihr Werk in der öffentlichen Wahrnehmung ein bisschen den Ruch von kalifornischem Hippietum, trotz zahlreicher technischer Innovationen, bei denen Oliveros eine Vorreiterin war.

Bei der MaerzMusik gibt es dieses Jahr einen Schwerpunkt zu Pauline Oliveros und ihrer Pionierarbeit nicht zuletzt auf dem Gebiet des Hörens. Denn die Wahrnehmung selbst war eines der Themen, die Oliveros zeitlebens beschäftigt haben. Der Filmemacher Daniel Weintraub hat ihr mit „Deep Listening: The Story of Pauline Oliveros“ ein Porträt gewidmet, das den Werdegang dieser scheinbar paradoxen Künstlerin nachzeichnet. Einer Pionierin der elektronischen Musik, deren Hauptinstrument das Akkordeon war, einer Schöpferin musikalischer Meditationen, die andererseits die Möglichkeiten elektronischer Interaktion schon früh in ihrer Laufbahn auslotete. Als Autodidaktin.

Weintraub rekonstruiert aus verschiedenen Schichten von Archivmaterial das Leben der im texanischen Houston geborenen Oliveros, benutzt Film- und Bilddokumente von den sechziger Jahren an, die er mit späteren Interviews der Komponistin kombiniert. Er selbst begleitete die 2016 gestorbene Oliveros in den letzten Jahren ihres Lebens mit der Kamera bei Konzerten oder Workshops und ließ sie frühere Stationen resümieren.

Das wird ergänzt um Erinnerungen von Wegbegleitern, darunter ihre Witwe Ione, die Komponisten Terry Riley und Morton Subotnick und einige ihrer Schüler.

Oliveros, die sich als Jugendliche für das Akkordeon begeisterte, beschloss mit 20 Jahren, nach San Francisco zu gehen, unter anderem, weil ihre Mutter Schwierigkeiten damit hatte, dass ihre Tochter lesbisch war. In San Francisco fand sie nicht allein in Robert Erickson, bei dem sie privat Kompositionsunterricht nahm, einen aufgeschlossenen Lehrer: Erickson betrachtete die Umwelt etwa als ein Orchester. Sie traf dort in den fünfziger Jahren auch auf Terry Riley, der damals noch nicht Minimal-Music-Pionier war, sondern am Anfang seiner Laufbahn und sich im Film dankbar zeigt für die Anregungen, die er von Oliveros erhielt.

Man verfolgt Oliveros im weiteren Verlauf, wie sie im San Francisco Tape Music Center mit Laborgeräten ihre erste elektronische Musik kreiert oder bei Aufnahmen das Tonbandgerät in die Badewanne legte, um Halleffekte zu erzeugen. Ebenso ist ihre meditative Haltung der Musik gegenüber und ihr gemeinschaftliches Verständnis von Musikmachen in ihren Wachstumsphasen zu beobachten: Ihre „Sonic Meditations“, die Anfang der Siebziger als Reaktion auf den Vietnamkrieg entstanden – und deren durchaus bedrohliche Momente bei der MaerzMusik das Publikum verschreckten –, ihr begriffsprägendes Album „Deep Listening“, dessen Titel auf ein Wortspiel zurückgeht, und ihre seit den neunziger Jahren entwickelten Arbeiten, mit denen sie das synchrone Musizieren über das Internet ermöglichte. Dinge, die inzwischen normal sind. Oliveros ging es bei alledem um die Aufmerksamkeit der Leute füreinander. Und das Ziel, eine Welt mit weniger Gewalt zu schaffen.

„Deep Listening“, 24. 3., 16 Uhr, Haus der Berliner Festspiele