Tragödie bei Steccato di Cutro

Bei der Havarie eines überladenen Fischkutters aus der Türkei sterben vor der süditalienischen Küste mindestens 58 Geflüchtete aus Afghanistan, Iran, Irak und Syrien, unter ihnen mehrere Kinder

Aus Rom Michael Braun

Womöglich mehr als 100 Tote sind nach dem Untergang eines Flüchtlingsschiffs direkt vor der Küste der süditalienischen Region Kalabrien zu beklagen. In den frühen Morgenstunden des Sonntags war der Fischkutter bei schwerem Seegang vor dem Ort Steccato di Cutro auseinandergebrochen; ein italienischer Fischer hatte um fünf Uhr morgens gemeldet, dass er Wrackteile und im Wasser treibende Menschen gesichtet hatte.

In Decken gehüllte Überlebende auf dem Strand, neben ihnen Leichen in weißen Säcken und Holzplanken des zerschellten Boots: Dies sind die ersten Bilder, die am Sonntagvormittag über die italienischen Medien verbreitet wurden.

Die italienische Küstenwache teilte mit, dass bis zum Mittag 81 Menschen gerettet werden konnten, während 58 Personen tot geborgen wurden, unter ihnen mehrere Kinder. Doch es ist zu befürchten, dass die Zahl der Opfer steigt. Während die Küstenwache von etwa 120 Menschen an Bord sprach, nannten Gerettete Zahlen zwischen 150 und 250 Passagieren. Die italienische Polizei teilte mit, sie habe einen der mutmaßlichen Schleuser in Gewahrsam genommen, während nach drei weiteren Männern, die aus der Türkei stammen sollen, gesucht werde.

Als Herkunftsländer der Flüchtlinge wurden Afghanistan, Iran, Irak und Syrien genannt. Der italienischen Finanzpolizei zufolge stach der hölzerne Kutter vier Tage vor dem Unglück vom türkischen Izmir aus in See. Auf dieser Route, von der Türkei nach Kalabrien, kamen im Jahr 2022 18.000 der insgesamt gut 100.000 an Italiens Küsten angelandeten Flüchtlinge nach Italien. Schon am Samstagabend hatte ein Flugzeug der EU-Grenzagentur Frontex das am Sonntag gekenterte Schiff gesichtet. Daraufhin hatte die Küstenwache zwei Schiffe ausgesandt, die jedoch wegen des schlechten Wetters am Ende umdrehen mussten.

Ministerpräsidentin Meloni will weiterkämpfen – vor allem gegen die Rettungsschiffe

Einhellig zeigen sich jetzt von rechts bis links Italiens Po­li­ti­ke­r*in­nen betroffen, beginnend bei der Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die angesichts der Tragödie „tiefen Schmerz“ äußert und verspricht, sie wolle auch in Zukunft „die Abfahrten“ der Flüchtlinge verhindern und die Schleuser bekämpfen. Der frühere Ministerpräsident Matteo Renzi entgegnete, gewiss gehörten die Schleuser bekämpft, „nicht aber die NGOs und die Freiwilligen, die Leben zu retten suchen“.

In der Tat ist weiterhin der Kampf gegen die NGOs der Hauptfokus der seit Oktober 2022 amtierenden Rechtsregierung unter Meloni. Sie erließ Anfang Januar ein mittlerweile endgültig vom Parlament gebilligtes Dekret, das die Rettungsarbeit der NGOs weiter erschwert. So wird ihnen direkt nach einer ersten Rettungsaktion ein Zielhafen zugewiesen, meist in Norditalien und damit mehr als 1.000 Kilometer entfernt von der Straße von Sizilien. Sie müssen diesen Hafen sofort ansteuern, ohne weitere Rettungsaktionen vorzunehmen – und sind damit tagelang aus dem Verkehr gezogen. Sollten sie sich nicht an die Vorschriften halten, werden sie zudem per Verwaltungsanordnung für bis zu 20 Tage blockiert und mit Geldbußen belegt.

Als Erste traf es jetzt die „Geo Barents“ von Ärzte ohne Grenzen. Vor zwei Tagen verfügte die Regierung, das Schiff müsse 20 Tage im Hafen bleiben, da die Besatzung sich geweigert hatte, die Black Box mit den Navigationsdaten herauszurücken. Auch die Tragödie vom Sonntag zeigt die Realität: Nur gut 10 Prozent der Flüchtlinge werden von den NGOs an Land gebracht, die anderen erreichen aus eigener Kraft oder mithilfe der italienischen Küstenwache die Häfen – wenn ihr Schiff nicht vorher kentert.