Neues Album von Caroline Polachek: Es wird viel gepfiffen

US-Künstlerin Caroline Polachek macht auf „Desire, I Want to Turn Into You“ ihre Stimme zum Signaturinstrument. Nun kommt sie auf Tour.

Eine Frau mit viel Schmuck auf dem Kopf und einem Armreifen

Schreit auch mal Schwäne an: Caroline Polachek Foto: Nedda Asfari

Eine unkonventionelle, scheinbar sinnfreie Äußerung: „OOOoooOOOoooo“. Für Caroline Polachek gilt das nicht. Im Videoclip zu ihrem Song „Sunset“ tippt die US-Künstlerin ihre Gesangslinie als Lautmalerei ins Handy. Solche und andere textlose Melodiefragmente gibt es viele in der Musik der 37-Jährigen.

Polachek setzt für die Ausstattung ihrer Songs ihre Stimme sehr prominent ein: Für ein „ZOOM-Konzert“ während der Coronapandemie 2020, das eher eine Sammlung aufgezeichneter Performances war, lief sie etwa durch einen Park und imitierte die Geräusche von Enten, schrie einen Schwan an. Keine Frage: Die Stimme ist Caroline Polacheks Signaturinstrument, und sie beherrscht ihr Organ virtuos.

Polachek wirkt als Stimmakrobatin allerdings nie angeberisch und selbstzweckhaft. Denn sie singt zwar virtuos, aber sie kommt dabei zugleich seltsam und lustig rüber, egal ob sie Nonsens-Kurzmitteilungen schickt oder mit Enten kommuniziert.

Schon im Kindesalter hat Caroline Polachek im Chor gesungen. Als Siebenjährige begann sie außerdem, Keyboard und Synthesizer zu spielen. Eine Schutzmaßnahme ihres Vaters, der damit verhindern wollte, dass ihre rabiate Spielweise das Klavier beschädigt.

Mit der Indieband Chairlift aus Brooklyn erhielt Polachek in den zehner Jahren erstmals breite Aufmerksamkeit. Die hatte sie zusammen mit Stu­di­en­kol­le­g:in­nen 2006 gegründet und war bis 2017 aktiv. Auch Chairlift klangen kauzig und verbanden das Simpel-Eingängige von frühem Synth-Pop mit der Tendenz, Blas- und Schlaginstrumente auszuprobieren.

Experimentelles Studio-Make-Up

Caroline Polachek lebt inzwischen in Los Angeles, ihr musikalisches Umfeld ist beim Avantgarde-Pop. Ihr neues Album „Desire, I Want To Turn Into You“ hat Danny L Harle produziert. Er gehört zum britischen Kollektiv PC Music, das sich mit der Inszenierung von überzeichneter, digital verfremdeter Popmusik einen Namen gemacht hat. Der Hyperpop von PC Music klingt so, wie es sich anfühlt, in ein Stroboskop-Licht zu starren. Harles Studio-Make-Up lässt Caroline Polacheks Musik zwar experimentell, aber nicht zu sperrig erscheinen.

„Desire, I Want To Turn Into You“ ist das zweite Album, das sie unter ihrem bürgerlichen Namen veröffentlicht. Es führt die Linie von „Pang“ (2019) fort, einem Album, in dessen Musik sie traditionelle Barockgesangstechniken mit Effekten wie Autotune fusionierte. Ein schwindelerregender Gesangslauf eröffnet „Welcome to my Island“, der bis ins Pfeifenregister hinaufsteigt. In der Strophe dagegen ist Polacheks Stimme durch einen Vocoder gefiltert. Im Refrain klingt die Sängerin dann so hymnisch, dass man auf Polacheks Insel gerne für immer stranden möchte.

Dort scheint es unbeschwert, gar hippieesk zuzugehen: In Polacheks Songtexten lassen sich alle Sorgen durch Liebe, ein Glas Wein oder von einem Sonnenuntergang vertreiben. Und ständig wird gepfiffen. Dem leichtfüßigen Synthiepop-Sound, der schon Chairlift ausgezeichnet hat, fügt Danny L Harle überraschende Elemente hinzu.

Auf dem bereits erwähnten Song „Sunset“ erklingen Flamenco-Gitarren, bei „Blood and Butter“ quäken die Pfeifen eines Dudelsacks. „I Believe“ kommt mit seinem Breakbeats und rhythmischen Synthesizer-Stößen daher wie eine digital überholte Version von New Jack Swing, einer R&B-Ästhetik der frühen 90er Jahre, die etwa auf Michael Jacksons Album „Dangerous“ prominent eingesetzt wurde.

Kooperation, die nicht knallt

Weniger überzeugend ist Polacheks Feature-Song „Fly To You“. Das liegt gerade an den berühmten Gästen: Dido, Star der Jahrtausendwende und bekannt für ihren unaufgeregten Vortrag, sowie die Elektronik-Künstlerin Grimes, die ihre Stimme gern dreimal durch den digitalen Fleischwolf schleift. Das ungleiche Aufeinandertreffen verursacht eben keinen großen Knall, eher klingt es, als hätte man den kleinsten gemeinsamen Nenner gesucht.

Caroline Polachek: „Desire, I Want to Turn Into You“ (Perpetual Novice/TheOrchard)

Live: 22.2. „Huxleys“ Berlin,

23.2. „Mojo Club“ Hamburg,

25.2. „Die Kantine“ Köln

Bei allem Willen zum Experiment, toll klingt ihre Musik immer, wenn Caroline Polachek songdienlich arbeitet. Ihre Zurückhaltung ist eine Tugend, die sie durchaus mit der britischen Künstlerin Kate Bush teilt, mit deren Exzentrik Polacheks Werk oft verglichen wird: Beide Künstlerinnen verbinden traditionelle Gesangstechniken mit unkonventionellen Produktionstechniken, beide finden traumwandlerisch die Schnittmenge zwischen Avantgarde und Popappeal. „Desire, I Want To Turn Into You“ lässt nun keinen Zweifel daran, dass Polachek als eigenständige Künstlerin einen großen Schritt nach vorn gemacht hat.

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