Dominanz am Berg

Der Schweizer Marco Odermatt sorgt für Genugtuung bei den Eidgenossen: Der 25-Jährige gewinnt bei der alpinen Ski-WM die Goldmedaille in der Abfahrt

Auf dem Sprung: der Schweizer Marco Odermatt Foto: dpa

Aus Courchevel Elisabeth Schlammerl

Marco Odermatt wusste nicht, wohin mit seinen Gefühlen. Immer wieder riss er die Arme nach oben und legte den Kopf in den Nacken. „Ich hatte noch nie solche Emotionen“, sagte der 25-Jährige aus Nidwalden später im Schweizer Fernsehen. Immer wieder schrie Marco Odermatt die Freude hinaus. In diesem ganz besonderen Moment. Für Odermatt war es einer, und auch für diese Ski-WM, bei der bisher vor allem die Außenseiter Akzente gesetzt hatten. Überwältigt von der Leistung in der WM-Abfahrt, erleichtert, da es im Super-G als Top-Favorit nicht geklappt hatte. „Die vergangenen Tage waren nicht die einfachsten für mich“, gab Odermatt zu.

Diese Fahrt, das „war die beste meines Lebens“, wusste er, nahe an der Perfektion. Und das in jener Disziplin, in der er bisher noch kein Weltcup-Rennen gewonnen hatte. „Ich glaube, der hatte irgendwo Schienen versteckt“, sagte der Deutsche Romed Baumann. Trotzdem saß Odermatt zunächst noch etwas unentspannt auf dem Stuhl des Führenden, er war sich keineswegs sicher, den ersten WM-Titel gewonnen zu haben. Der Beste der Saison in der Abfahrt, Aleksander Aamodt Kilde, stand noch oben am Start, ebenso James Crawford, der Überraschungssieger im Super-G drei Tage davor. Und ein paar Athleten, die im Training überrascht hatten, sowie Thomas Dreßen, der sich trotz Knochenprellung im Knie und überstandenem Magen-Darm-Infekt in den vergangenen Tagen wieder konkurrenzfähig präsentiert hatte. Der zehnte Platz mit nur 0,25 Sekunden auf den Dritten ist für den Kitzbühel-Sieger von 2018 die Gewissheit, „wieder auf dem Weg dahin“ zu sein, „wo ich hingehöre“.

Für Odermatt war es vor allem „ein zittriges Warten“, als Kilde fuhr, und später, als der Kanadier Cameron Alexander mit glänzenden Zwischenzeiten unterwegs war, aber ebenso wie Kilde keine Chance hatte. „Was Odermatt heute gezeigt hat, war zu gut“, sagte der Norweger. Es blieb ihm wie im Super-G nur Silber (vor dem Überraschungs-Dritten Alexander) – und die Erkenntnis: „Ein hungriger Odermatt ist schwierig zu schlagen.“

Es gibt kaum ein besseres Rennen für den ersten Abfahrtssieg als beim Großereignis. Aber von einem Außenseiter-Erfolg zu sprechen wie am Tag zuvor bei den Frauen oder im Super-G, würde Odermatt nicht gerecht werden. Seit Saisonbeginn duelliert er sich mit Kilde auf hohem Niveau in den beiden schnellen Disziplinen, wobei die Rollen bis zu dieser WM klar verteilt waren. Der Norweger hat fünf von acht Abfahrten gewonnen, Odermatt vier von sechs Super-G-Rennen. Dieses Duell, sagte der Schweizer, helfe beiden, weil sie sich gegenseitig zu Höchstleistungen treiben. Der eine, Kilde, schafft es mit Kraft, der andere, Odermatt „mit der feinen Klinge“, sagte Baumann.

Aber dieses Ausreizen des Limits wäre den Dominatoren fast zum Verhängnis geworden. Es schien nur noch eine Frage der Zeit, bis Odermatt auch in der Abfahrt gewinnen würde. Kilde ahnte dies, und so überzogen sie beide auf der Streif in Kitzbühel und konnten nur mit Mühe einen Sturz verhindern. Wobei es Odermatt schlimmer erwischte.

„Ich hatte noch nie solche Emotionen“

Marco Odermatt

Er zog sich eine Meniskusquetschung zu, pausierte eine Woche und gewann bei seiner Rückkehr gleich wieder Super-G-Rennen. Odermatt hatte davon gesprochen, Gold gewinnen zu wollen bei der WM. Alles andere wäre angesichts der Resultate heuer auch unglaubwürdig gewesen. „Aber wenn es nicht klappt, höre ich deshalb nicht Ende der Saison mit dem Skisport auf“, sagte er. Der Gesamtweltcup-Sieger hatte bereits bewiesen, dass er mit der Bürde umgehen kann. Im vergangenen Jahr holte er Gold im Riesenslalom bei Olympia.

Diesmal war der Druck höher. Im Super-G habe man „ihm angesehen, dass er nicht so befreit fährt wie sonst“, fand Dreßen. In der Abfahrt trug die Last nicht er, sondern Kilde.