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Kein Ort für Büttenreden

Karneval spielt in Berlin keine Rolle. Schließlich herrscht in der Hauptstadt ganzjährig der Ausnahmezustand. Umzüge aber hat man auch in Berlin gern

Von Andreas Hartmann

Karneval – oder wie die sich zahlreich in der Hauptstadt niedergelassen habenden Schwaben dazu sagen: Fasching – wird auch in diesem Jahr wieder mehr oder weniger ausfallen in Berlin. Ein paar angetrunkene Gestalten mit biografischen Wurzeln im Rheinland werden durch die Kneipen der Szenebezirke wanken, mit etwas Glitzer im Gesicht und ausgefallenen Outfits. Aber niemand wird sie weiter beachten, weil alle denken, hier würden einfach nur ein paar stinknormale Ausgehwillige mit Gedanken an den geplanten Clubbesuch vorglühen. Kein Mensch sagt sich: Ah, schau an, endlich wieder Karneval.

Weiter draußen in Richtung Stadtrand, wo einem die Großstadt schnell wie ein Dorf vorkommen kann, wird es vielleicht vereinzelt karnevalesk zugehen. Die „fidelen Rixdorfer“ etwa laden zur „Faschingsparty“, der Karnevalsstammtisch Wilmersdorf lockt mit einer Weiberfastnacht in der „Uhlandquelle“. Und wenn ein paar Karnevalsprinzen durch Etablissements wie „Zum Magendoktor“ oder das „Flair“ – Motto: „Komm her, das Flair ist nie leer!“ – ziehen, dann haben diese bestimmt jede Menge Spaß.

Aber mit selbstbehaupteter Brauchtumspflege und dem Erhalt einer Karnevalstradition hat das alles letztlich nur wenig zu tun. Berlin war einfach noch nie eine Stadt des Karnevals, und sämtliche Versuche, dies zu ändern, von denen es durchaus einige gab – der letzte Versuch eines Umzugs auf dem Kurfürstendamm war im Jahr 2017 –, sind bis auf weiteres kläglich gescheitert.

Warum das so ist, darüber ließe sich trefflich diskutieren. Skepsis gegenüber verordnetem Frohsinn für ein paar Tage, fehlende Verwurzelung im Katholizismus – das alles spielt hierbei sicherlich mit eine Rolle. Außerdem braucht man in einer Stadt, die gerade mal wieder überall und großteils durchaus zurecht als chaotisch und dysfunktional geschmäht wird, keine temporäre Aufweichung einer bestehenden Ordnung, was ja allgemein der Sinn des Karnevals ist.

Denn in Berlin herrscht gewissermaßen und zumindest im Vergleich zur restlichen Republik immer der Ausnahmezustand.

Eine ganz eigene Paradenkultur, ohne schreckliche Karnevalsschlager

Was nicht heißt, dass die Berliner nicht auch ein Faible für bunte Umzüge und Verkleidungsorgien hätten. Ganz im Gegenteil. Nur braucht hier halt niemand diese traditionskarnevaleske Schunkelei, das Täterätätä und Bützchen von nach Kölsch riechenden Jecken mit roten Clownsnasen. Sondern man hat sich eine ganz eigene Paradenkultur aufgebaut, die auch Spaß bringt und zudem weitgehend ohne Berufung auf zweifelhafte religiöse Traditionen und vor allem schreckliche Karnevalsschlager auskommt.

Den Karneval der Kulturen etwa gibt es erst seit 1996 und er ist, der Name sagt es bereits, durchaus genau das: ein Karneval. Nur findet er zu einer Zeit im Jahr statt, in der es sowieso angenehmer ist durch die Straßen zu flanieren, als bei Rosenmontagsumzügen mitten im Winter. Dieses Mal wird er Ende Mai wieder vier Tage lang wie immer in Kreuzberg gefeiert. Brasilianische Sambacombos, koreanische Folkloregruppen und zig weitere Repräsentanten vermeintlich autochthoner Kulturen aus aller Welt werden dann unterwegs sein. Und nach drei Jahren Coronapause werden sich erst recht Hunderttausende das Spektakel ansehen.

Und dann lässt sich ja auch noch gut auf den ganzen Technoparaden die Sau rauslassen, von denen es in Berlin inzwischen so viele gibt, wie sonst bestimmt nirgendwo auf der Welt. Rave the planet, Zug der Liebe, Fuckparade und wie sie alle heißen. Auch diese sind letztlich mehr oder weniger Variationen klassischer Karnevalsumzüge. Nur lauter, hemmungsloser, verdrogter und freakiger. Und wirklich keiner hält eine unlustige Büttenrede, versprochen.

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