piwik no script img

Jean-Philipp BaeckWarumKann es für einen Linken ein Akt des Widerstandes sein, Hemden anzuziehen?

Foto: F.: S. Steinkreuz/Ostkreuz

Hemden sind mein Widerstand. Auch in der Zeit jugendlicher Rebellion habe ich auf mein Aussehen geachtet, allerdings allergisch auf Markenklamotten und Kämme reagiert. Das änderte sich vor einigen Jahren, Jeans und Hemden lösten verwaschene Kapuzenpullover und Zimmermannshose ab.

Kritische BeobachterInnen könnten sagen: Ich bin äußerlich verspießert. Tatsächlich fällt meine modische Entwicklung mit dem Eintritt ins Arbeitsleben zusammen, ich meine, es war ein Studentenjob an der Theaterkasse in Bremen, der mich erstmals zur Verkleidung zwang. Irgendwann gefiel mir das: Ich wollte mich nicht mehr direkt als linke Zecke zu erkennen geben. Zumal man dies in Deutschland ja auch zu antinationaler Kritik wenden kann, wo doch keiner so schlecht angezogen ist wie die funktionsjacken-uniformierten deutschen Birkenstock-Kretins.

Als Paradebeispiel jedenfalls des schlechten deutschen Geschmacks muss seit Beginn seiner Amtszeit Bundeskanzler Olaf Scholz herhalten. Flugzeug-Kulissen auf Auslandsreise sind sein Laufsteg. Er steht im Schlabberpulli in den Sitzreihen vor den Journalisten, steigt in locker gedecktem Hemd und beiger Chino in Washington aus dem Flugzeug.

Freilich: Man kann seiner Sozialisation wohl nicht komplett entfliehen. Auch ich gehe nicht so weit, meine Hemden zu bügeln, und entschuldige das damit, dass diese Faulheit politisch ist und der geknitterte Stoff Ausdruck meiner Nichtidentität mit dem Establishment.

Richtig geschämt für mein schlechtes Aussehen habe ich mich Ende Januar auf einer Recherche im Kosovo. Aus pragmatischen Gründen trug ich tagsüber einen Kapuzenpullover, mit der Fotografin Allegra Schneider ging ich abends in ein schickeres Restaurant in der Hauptstadt Prishtina. Die Preise waren für uns bezahlbar, für kosovarische Verhältnisse gehoben. Für einen Besuch in einem entsprechenden Restaurant in Berlin hätte ich mich sicherlich herausgeputzt, aus besonderem Anlass, weil solcher Luxus eben nicht alltäglich ist. Nun aber saß ich wie ein typischer Deutscher vor einem fantastischen Schopska-Salat. Ich fühlte mich respektlos.

Warum aber sind die Deutschen eigentlich immer so schlecht angezogen?

Anruf bei Maria Weilandt, Literatur- und Modewissenschaftlerin an der Uni Potsdam. Sie widerspricht zunächst: Olaf Scholz sei ganz und gar nicht nachlässig. Er präsentiere sich als Politiker anders als der französische Präsident Macron. Aber: „Das ist auch bei Scholz alles durchgeplant. Ein T-Shirt, ein lockerer Pullover, das soll ausdrücken: Er ist einer von uns. Ein klassisches SPD-Statement“, sagt Weilandt.

Also nicht typisch deutsch? Dieses Vorurteil reiche zurück bis ins 18. Jahrhundert, erklärt Weilandt, und beruhe auf einem Streit um Modegeschmack, der vor allem zwischen Frankreich und Deutschland ausgetragen wurde. Schon damals galten die Deutschen in Frankreich als unmodisch und plump. Umgekehrt werteten die Deutschen die eleganten Franzosen als frivol und künstlich.

Kritische BeobachterInnen könnten sagen: Ich bin äußerlich verspießert

Es gebe heute tolle DesignerInnen aus Deutschland, meint die Wissenschaftlerin, aber man könne feststellen, dass Mode in Deutschland gesellschaftlich eine geringere Bedeutung habe als in anderen Ländern. Und meine Hemden-Rebellion? Weilandt verpackt es höflich akademisch: In kapitalistischer Dynamik würden gesellschaftliche Normen reproduziert: Alltagsnormen, Körpernormen, Geschlechternormen. Man nehme es gar nicht wahr, wenn man diese erfülle. „Mit dem Strom zu schwimmen, kann auch ein bisschen leichter sein“, sagt sie.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen