LETZTER FERIENTAG: Auf Schlosssuche
Ach, du, sage ich zu Hannah, die Ferien sind morgen vorbei. Und wir sitzen immer noch hier rum. Lass uns doch nach Alt-Tegel fahren, schlägt Hannah vor. Ich lese gerade das neu aufgelegte Buch von Humboldt. Ich würde gern das Familienschloss sehen.
Die Fußgängerzone Alt-Tegel ist eine Flucht von Eisdielen, Pizzerien und Oma-Cafés. Sind wir hier in einer westdeutschen Mittelstadt, die in den 80er-Jahren hängen geblieben ist? Fragt Hannah und zieht ihre Brauen verächtlich nach oben. Über uns grummeln die Wolken. Erste Tropfen zerplatzen auf Hannahs Nase. Wir stellen uns unters Vordach der Hafenkneipe Alt-Tegel. Schräg gegenüber dümpeln Enten, Gänse und Schwäne schlafend am Pier. Die Ausflugsdampfer versprechen 3,5 Stunden mit Salonorchester. 23 Euro. Der Regen hört auf, mir grummelt der Magen. Hannah weist auf einen Fischbrötchenstand. Iss doch ’ne Fischboulette, schlägt sie vor. Es gibt nur Matjes mit viel Zwiebeln. Hannah verlangt vor dem ersten Biss einen letzten Kuss.
Wo ist denn nun das Schloss, fragen wir Paare, Passanten, Hunde. Alle weisen in andere Richtungen. Irgendwann sitzen wir auf einer Bank und lassen uns von den letzten Sommersonnenstrahlen streicheln. Eine Frau richtet sich auf der Bank neben uns ein. Wissen Sie vielleicht, wo es zum Humboldt-Schloss geht? Als Hannah fragt, klappert die Frau genervt mit den Wimpern: Das suche ich auch schon seit Stunden und stoße immer nur auf Sackgassen.
Wir brechen in die Richtung auf, aus der sie gekommen ist. Ein Vater auf dem Fahrrad mit Kindern im Anhänger führt uns auf die richtige Fährte: wieder zur Hauptstraße, an der Bibliothek scharf links. Ein Privatweg: Betreten bis zum Sonnenuntergang erlaubt – bis auf Widerruf, verkündet das Schild. An Pferdekoppeln vorbei kommen wir endlich zum Schloss. Naja, sagt Hannah, ’ne große Nummer ist das nicht. TIMO BERGER
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