berliner szenen: Die Tauben warten schon
Meine Tochter rennt in eine Gruppe von Tauben, die sich zwischen U-Bahn-Eingang und Straßenkreuzung versammelt haben. Unter Protestgegurre fliegen die meisten auf das Dach des U-Bahn-Einganges. Einige weichen mit ein paar müden Schritten.
Meine Vierjährige blickt mich freudig und stolz an, dass sie die Ursache von so viel Bewegung ist. Und rennt noch einmal in die verbleibende Menge, verfolgt einige der Bodenständigen, bis auch sie ihre Flügel erheben.
Ich zähle drei grüne Ampeln am Fußgängerübergang, den ich nehmen wollte. Die Tochter fragt: „Warum haben die Tauben Angst vor mir?“ – „Weil du so groß bist“, antworte ich unbeholfen. Eine Frau mit großer Umhängetasche kommt, und sofort kehren die „Ratten der Lüfte“ auf den Boden der Tatsachen zurück. Die Frau schaut mich skeptisch an und wartet. Doch auch wir warten gespannt – die Ampel ist gerade wieder rot geworden. Schließlich greift sie in ihre Umhängetasche und wirft eine Handvoll Körner in einem Schwung dem Boden entgegen. Und gleich noch eine hinterher. Die Tauben stürzen sich darauf. Ein Mann zeigt der Frau den Vogel – Zeigefinger an die Stirn – und sagt verärgert etwas Unverständliches, geht aber weiter. „Was machst du da?“, fragt meine Tochter. „Ich füttere die Tauben. Ich bin vom Tierschutz“, sagt sie. „Aber man darf Vögeln kein Brot geben“, erwidert die Vierjährige. „Das stimmt, Brot ist nicht so gut, aber wenn sie Hunger haben, essen sie alles. Wie wir Menschen. Von mir kriegen sie Taubenfutter.“
Sie nimmt sich noch eine grüne Ampelphase, um uns die richtigen Körner und Hülsenfrüchte zu erklären, die Tauben essen dürfen. Dann sagt sie, sie müsse weiter, die nächsten Tauben würden schon warten. So überqueren auch wir endlich die Kreuzung. Leila van Rinsum
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