Die Wahrheit: Was geht?

Tagebuch einer Scrollerin: Geht Ihnen die Fragerei auf Nachrichtenportalen auch so auf den Keks? Ist das nicht alles etwas Sesamstraße?

Das Jahr begann in Gesellschaft entspannter Gäste. Ein Elternpaar ließ sein zufriedenes Baby am in der Krippe eroberten fremden Schnuller nuckeln und unterhielt die Runde mit Anekdoten von der letzten Kitabesichtigung. Die eindrucksvollste handelte von einem Paar, dessen Nachwuchs noch darauf wartete, das Licht der Welt zu erblicken, das aber schon mal wissen wollte, welche Maßnahmen der Hort zu ergreifen gedenke, sollte der Sprössling zukünftig unter Allergien leiden. Selten war ich dankbarer für die Gnade meiner frühen Geburt, die dafür verantwortlich ist, dass Elternabende und ähnliche Prüfungen weit hinter mir liegen.

Doch auch die Gegenwart hält Herausforderungen für mich bereit. Beim Scrollen durch die Online-App eines Nachrichtenmagazins fällt auf, dass diese zwar pflichtschuldig über Krieg- und Klimagedöns informiert, hauptsächlich aber drängendere Fragen behandelt wie „Warum Tiktok so interessant ist – und trotzdem ein Problem“, „Was gegen Mundgeruch hilft“ oder „Wie sage ich meinen Schwiegereltern, dass sie den Kontakt zur Ex meines Mannes abbrechen sollen?“.

Ja, wie? Die Suche nach weitergehendem Rat im Text führt ins Leere, denn die Fiesigkeiten der Familie und die seelische Gesundheit von Schwiegertöchtern scheinen nur ein Vorwand, um das fünfzigjährige Jubiläum der „Sesamstraße“ mit „Wiesoweshalbwarum?“-Fragen der Sorte „Wie kann Patchwork endlich funktionieren?“ zu feiern. Ich vermute, die Redaktion bringt sich vor Arbeitsbeginn mit „Wer nicht fragt, bleibt dumm“-Gesängen in Stimmung und besorgt zur Beantwortung von „Wie gefährlich ist der Cannabisrausch vom Kiosk?“ auch mal Stoff für ein paar Joints beim Büdchen gegenüber. Kollektives Bekifft­sein würde immerhin erklären, weshalb der Leserschaft etwas weiter im Text „Eine Ode an den Penis“ geschenkt wird, denn „sich als Frau dem Penis anzunähern ist nicht leicht“. Davon könnten wir Frauen weiß Gott ein Lied singen, aber auf unser Wissen wird ja gern verzichtet; stattdessen beantwortet „Familienberater Mathias Voelchert“ ungefragt „warum es wichtig ist loszulassen“.

Die weitere Lektüre führt dann doch zu einer echten Nachricht für das noch junge 2023: Anne Will lässt zum Jahresende los, was die Hoffnung auf wenigstens eine kubickifreie Zone weckt. Von Kubicki ist Loslassen erfahrungsgemäß eher nicht zu erwarten, er wird sich wohl weiterhin an die verbliebenen Talkshowsessel kleben und mit vertraut getrübtem Blick in die Kameras nölen.

Vorher aber muss hier in Berlin – das zwar, wie man inzwischen weiß, nicht Bullerbü, sondern eine weitläufig verwinkelte Sesamstraße ist – erst mal wieder gewählt werden, und angesichts des „Täglich grüßt das Murmeltier“-Politpersonalangebots kann man schon mal entnervt „Wer? Wie? Was?“ fragen. Bei der Bearbeitung dieser sowie anderer wichtiger Angelegenheiten helfen dann Ernie und Bert.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Lebt und arbeitet als Filmregisseurin, Drehbuch- und Romanautorin in Berlin. Schreibt in ihren Kolumnen über alles, was sie anregt, aufregt oder amüsiert

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.