Ausstellung über Musik und Kunst: Töne sehen, Farben hören
„Broken Music Vol. 2“ im Hamburger Bahnhof Berlin widmet sich dem Verhältnis von Bildender Kunst und Musik. Und erinnert an einen Plattenladen.
Klänge sind immer flüchtig, daher sind sie nicht darauf bedacht, in die Geschichte einzugehen“, hat der kanadische Jazzkritiker und -poet Paul Haines einmal die Unwägbarkeiten beim Erfassen von Sound umschrieben. Festgehalten und für die Ewigkeit bewahrt werden Klänge seit 1887 für gewöhnlich auf Schallplatten.
Wobei es beim Hören nicht allein um Klang geht. Bilder, Fotos und Texte auf dem Albumcover begleiten und erweitern das Hörmaterial, über die akustische Ebene hinaus liefern Grafiken und Worte Anleitungen für den Genuss, der beim Hören entsteht.
Seit den späten 1940er Jahren wird die Schallplatte im Format LP gepresst, ursprünglich, um klassische Musik zu vermarkten, und spätestens seither interessieren sich auch Bildende Künstler:innen dafür, was mit Schallplatten jenseits von Musikhören noch anstellbar ist.
Wahre Freundschaft
Zum Beispiel auf dem Album „Wahre Freundschaft“, 1978 veröffentlicht von den feministischen Künstlerinnen Valie Export & Monsti Wiener. Bevor Songs erklingen, ist zu hören, wie die beiden ihre Kopfhörer aufsetzen und welche Schalter sie am Aufnahmegerät betätigen. Zu hören ist auch das Surren einer Filmkamera. Und zu sehen gibt es das Cover ihres Albums in der Ausstellung „Broken Music Vol. 2“ im Hamburger Bahnhof in Berlin.
„Broken Music Vol. 2“, bis 14. Mai 2023, Hamburger Bahnhof, Berlin
In dieser Schau werden anschaulich die weitverzweigten Verbindungen zwischen Musik, Bildender Kunst, Feldaufnahmen und Lautpoesie hergestellt, so dass sich ein erweitertes synästhetisches Klangverständnis wie von selbst ergibt: Hunderte Plattencover hängen an den Wänden, baumeln an Schnüren von den Hallendecken oder sind als Faksimiles in Holzfächern zum Durchblättern und Anfassen gelagert.
Mit einem Audioguide lässt sich auch ein Teil der auf den Platten festgehaltenen Klänge hören. Verschiedene Sektionen wie „Die Avantgarde“, „Conceptual Art“ und „Fieldrecordings“ sind wie Genrefächer in einem Plattenladen sortiert.
Walzer für ein Dreieck
Wobei „Broken Music Vol. 2“ keine reine Cover-Art-Ausstellung ist und auch keine Vinylarchäologie betreibt: Raumgreifende Klanginstallationen, etwa „Walzer für ein Dreieck“ von Rolf Julius und eine begehbare Klangskulptur von Bernhard Leitner, sind Bestandteil der Schau. „Walzer für ein Dreieck“ ist eine Assemblage von Schalen, Töpfen, Pfannen, Steinen, Schnüren, Drähten und Teelöffeln. Teilweise sind diese mit Pulver gefüllt, verkabelt und mit Lautsprechern amplifiziert. Fast unmerklich knarzt und knirscht es.
Ganz anders ein Film über Gittergeflechte, die Klang erzeugen, die der in den USA lebende Italiener Harry Bertoia „Sonambients“ nannte, was sich eher wie ein Drone anhört. Zu sehen sind auch Zeichnungen von Bildenden Künstlern wie A. R. Penck, Raymond Pettibon und Jean-Michel Basquiat, die mit (Pop)-Musik und Freejazz in enger Verbindung stehen, Cover für Alben von Popkünstler:Innen gestalteten oder selbst Musik veröffentlicht haben.
„Broken Music Vol. 2“ ist eine Fortsetzungsgeschichte mit erweiterter Aktualisierung. Der Ausstellungstitel nimmt Bezug auf eine frühere Schau: „Broken Music“ hieß eine Ausstellung, die Ursula Block 1989 in Berlin kuratierte und wiederum auf so betitelte Mobilés und Collagen Bezug nahm, die der tschechische Künstler Milan Knizak in den 1960ern aus zerstörtem Vinyl formte. Seine Arbeiten stellten damals einen Bruch mit konventionellen Hörgewohnheiten auf der Bildebene dar.
Krach und Gebrabbel
Ursula Block zeigte in der gleichnamigen Ausstellung wiederum Künstlerschallplatten, die in der akustischen und optischen Aufmachung über ihre Form als Tonträger ausschließlich für Musik hinausgehen: zum Beispiel Alben von Dieter Roth, Gerhard Rühm und Oswald Wiener, auf denen Krach und Gebrabbel zu hören, Fotos und Texte abgedruckt waren.
„Broken Music Vol. 2“ fußt auf der rund 480 Exemplare fassenden Künstlerplatten-Sammlung von Ursula Block, die von der Nationalgalerie erworben und nun für die Ausstellung um rund 1.100 weitere Exponate ergänzt wurde. Es ist eine ganzheitliche Referenz an die Schallplatte als Träger von Klang und Informationen, als quadratische Bildfläche, die aus Papier und Karton selbst künstlerisch gestaltet werden kann. So gibt es auch eine Reihe von Easy-Listening-Covern zu sehen wie „Persuasive Percussion“, deren Schraffuren wie OpArt anmuten: Kommerzielle Musik ist kein Ausschlussfaktor für Bildende Kunst.
„Broken Music Vol. 2“ ist eine Hommage an Ursula Block und ihre wichtige kuratorische Vorarbeit. Für ihren Mann, den Galeristen und Kurator René Block, hatte sie in dessen Ausstellung „Für Augen und Ohren“ (1980) in der Akademie der Künste in Berlin eine Phonothek eingerichtet, in der ein Teil der Werke gehört werden konnten. 1981 eröffnete Ursula Block dann ihren eigenen Plattenladen Gelbe Musik, den sie bis 2014 in Berlin-Wilmersdorf führte.
Zauberwort Synästhesie
Mit Gelbe Musik nahm Block das Verhältnis von Kunst und Musik genauer in den Blick und sorgte für eine Distribution der oftmals in kleiner Auflage gepressten Künstler-Schallplatten. Zudem bot sie Freejazz, Industrialmusic und allerlei Underground an. „Töne sehen und Farben hören“, erklärte Block in einem Interview, sei ein Movens gewesen. „Es geht immer um Synästhesie.“
Der Name ihres Plattenladens geht auf den russischen Avantgarde-Künstler und Bauhaus-Lehrer Wassily Kandinsky zurück, der mit der Farbe Gelb in einem Essay 1911 „eine scharf geblasene Trompete“ assoziiert. Ursula Block bot Musik an, aber auch Partituren, Objekte und Kunsteditionen. Und ihre Ausstellungen hatten immer mit einer Musik zu tun, die es anderswo nicht gab.
Das machte Gelbe Musik zu einer Anlaufstelle nicht nur für Kunstinteressierte, sondern auch für eine Westberliner Szene zwischen Freejazz, Literatur und „Genialen Dilletanten“, die sich um Etablissements wie das Exil und SO36 gruppierte. Mit der Zeit bekam der Katalog von Gelbe Musik viele auch prominente Fans wie Björk und Sonic Youth, die, wenn sie in Berlin Station machten, dem Laden einen Besuch abstatteten.
Mit dem Erbe von Gelbe Musik werden die Rieck-Hallen im Hamburger Bahnhof – vor Kurzem von Bund und Land Berlin gekauft und nun Teil der Nationalgalerie – zum Ausgangspunkt für eine immersive Erkundungstour, in der sich stundenlang hörend, sehend und staunend vor-, zurück- und seitwärts tasten lässt.
Was mit einer Aufnahme von Antonio Russolos futuristischer Orchestermusik „Serenata“ von 1924 beginnt, endet mit zeitgenössischen Werken wie „Beyond the Yellow Haze“ vom nigerianischen Künstler Emeka Ogboh und dessen Feldaufnahmen eines Busbahnhofs und seiner gelben Fahrzeuge in Lagos nur vorläufig.
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