Leben mit Enttäuschungen: Vom glücklichen Leben
Ob man sich sein Leben leichter macht, wenn man nichts erwartet? Keine Frage für den Ethikrat, der lieber philosophisch mit Weihnachtsbäumen spielt.
K ürzlich war ich als Gast bei einer Radiosendung eingeladen, bei der es um Erwartungen und Enttäuschungen ging. Tatsächlich hatte ich nicht viel Erhellendes dazu zu sagen, wie man sinnvoll mit enttäuschten Erwartungen umgeht, ich sammle sie lediglich, und es war vermutlich naiv zu hoffen, ich würde mit neuen Antworten aus dem Selbstfahrerstudio E5 herauskommen.
Auf dem Rückweg sah ich auf einem kleinen Platz in der Nähe unserer Wohnung eine Ansammlung von Fichten, die dort sonst nicht stehen. Als ich anhielt, sah ich den Ethikrat, der weitere Bäume in Weihnachtsbaumständer hievte. Der Ethikrat, das sind drei ältere Herren von geringer Größe, die mir gelegentlich Hinweise in Fragen praktischer Ethik geben.
Ich will schon lange einen Pop-up-Wald mit ausrangierten Weihnachtsbäumen errichten, aber meine Bemühungen haben gerade mal für eine Suchanzeige für Christbaumständer auf Ebay gereicht, auf die niemand geantwortet hat. Ich betrachtete die Fichten eher freudlos.
„Guten Tag“, sagte ich zum Rat, „ist das Stadtbegrünung oder eher Kunst?“
Die Herausforderung der philosophischen Suche
„Weder noch“, sagte der Ratsvorsitzende. „Wir machen der interessierten Öffentlichkeit eine philosophische Erfahrung zugänglich“, und wies auf die beiden anderen Ratsmitglieder, die ein schiefes Pappschild an einen der Bäume hängten. „Das philosophische Labyrinth“ stand darauf in krakeliger Schreibschrift, „kleine Runde 3 Euro, große Runde mit vertiefendem Nachgespräch 10 Euro“.
Der Ethikrat und ich haben nicht viele Gemeinsamkeiten, außer gelegentlichen Anwandlungen von Traurigkeit und ewigem Bankrott. „Da werden Sie noch ein paar Bäume brauchen“, sagte ich zum Vorsitzenden. „Wir verfügen über einen Vorrat“, sagte der heiter und wies auf eine Baumansammlung am Straßenrand. „Das Labyrinth vermittelt besonders eindrücklich die Herausforderungen der philosophischen Suche“, fuhr er fort. „Planen Sie einen Ausgang?“, fragte ich, denn dem Rat war alles zuzutrauen.
Der Vorsitzende überhörte meine Frage. „Vielleicht möchten Sie uns beim Aufbau behilflich sein“, sagte er und es war wenig Fragendes in seinem Ton.
Ich folgte ihm und den beiden anderen Ratsmitgliedern zum Baumhaufen. „Darf ich Ihnen eine Frage stellen?“ „Natürlich“, sagte der Ratsvorsitzende, während er auf eine riesige Fichte wies, die ich zum Labyrinth schleifen sollte. „Sind Erwartungen, die man an sich oder andere stellt, produktiv, weil sie anspornen – oder eher kontraproduktiv, weil sie unter Druck setzen?“, fragte ich und zerrte an der Fichte. „Und ist es sinnvoll, sie zu formulieren?“
Die Fichte bewegte sich nicht. In der Radiosendung hatte der Moderator gefragt, ob ein Leben ohne Erwartungen ein besseres sei, und ich hatte erst gesagt, dass man wohl am besten wenig an andere und hohe an sich selbst stellte. Aber dann hatte ich mir selbst widersprochen und erklärt, dass man sehr wohl seinen Kindern vermitteln könne, dass sie einen später nicht allein im Altenheim verkümmern lassen sollten.
Auf dem Rückweg hatte ich mich danach gefragt, ob das überhaupt stimmte. „Ich meine: Wie viel Freude hat man an Loyalität, die man erst einfordern muss?“, sagte ich in Richtung Ratsvorsitzendem, aber der hörte mir gar nicht zu.
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Ich folgte seinem Blick und sah auf der gegenüberliegenden Straßenseite drei ältere, hochgewachsene Frauen mit Hochsteckfrisuren und der kühlen Schönheit vom Typus Virginia Woolf. Sie trugen das Modell eines Heißluftballons, an dem ein goldenes Banner flatterte. „Vom glücklichen Leben“, stand darauf, „Fliegen Sie mit Philosophinnen. Erster Flug gratis“.
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