Wie schlimm ist der Lützerath-Deal fürs Klima?

Die Abbaggerung fußt auf einer wackligen Studienlage – in Bezug auf Klimaeffekt und Kohlebedarf

Von Susanne Schwarz

Die Erde ist schon um 1,2 Grad heißer als zu Beginn der Industrialisierung, extremes Wetter tötet Menschen, verursacht jährlich Milliardenkosten – und trotzdem wird noch ein Dorf für den Kohleabbau abgerissen? Unverständlich finden das die Klimaaktivist:innen, die den nordrhein-westfälischen Ort Lützerath besetzt haben, um ihn vor den Baggern des Energie­kon­zerns RWE zu schützen.

Den Untergang des Dorfs hat zuletzt ein Deal zwischen Bundesregierung, nordrhein-westfälischer Landesregierung und RWE besiegelt. Darin ist verabredet, dass das Unternehmen statt 2038 schon 2030 sein letztes Kohlekraftwerk abschaltet. Dafür sollen in der aktuellen Energiekrise einige der klimaschädlichen Anlagen länger laufen als geplant. Die fünf Ortschaften Keyenberg, Kuckum, Unterwestrich, Oberwestrich und Berverath wurden im Zuge dessen gerettet, sie hätten eigentlich auch abgebaggert werden sollen. Für Lützerath, wo außer den zugezogenen Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen schon niemand mehr wohnt und die Abrissplanungen weiter fortgeschritten sind, brachte die Einigung aber keine Hoffnung. Die Kohle werde gebraucht, hieß es. „Wir sparen damit 280 Millionen Tonnen Braunkohle und also rund 280 Millionen Tonnen CO2“, hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Oktober in Aussicht gestellt. Das entspricht der Menge an Treibhausgas, die Deutschland aktuell in knapp über vier Monaten ausstößt. Eine ähnliche Einigung strebt Habeck auch in der Lausitz an, wo der Energiekonzern Leag Kohlekraftwerke betreibt.

Eine Studie des Beratungsunternehmens Aurora Energy Research, das das Klimabündni Europe Beyond Coal beauftragt hatte, kommt zu einem anderen Schluss. Die Ex­per­t:in­nen zweifeln daran, dass es selbst zu der bescheidenen CO2-Einsparung kommen werde. Das Argument: Der Europäische Emissionshandel, in dem die Energiekonzerne pro Tonne CO2 ein Zertifikat kaufen müssen, sorge schon dafür, dass Kohle nach 2030 nicht mehr wirtschaftlich sein werde. Wenn das passiere, sei das also nicht dem neuen Deal zuzurechnen – anders als die zusätzlichen Emissionen, die jetzt anfallen. Die Ex­per­t:in­nen gehen davon aus, dass die Pläne bis 2030 sogar zu einer Überschreitung der CO2-Grenzen im Klimaschutzgesetz um 164 Millionen Tonnen führen würden. Vor allem aber kommen sie zu dem Ergebnis, dass die Kohle unter Lützerath für die Energieversorgung nicht unbedingt gebraucht wird.

Die Frage ist aber auch, wie viel Kohle man anderen Wirtschaftsbereichen zugesteht. Noch wird Kohle schließlich nicht nur als Energieträger verbrannt, sondern dient in veredelter Form auch als Rohstoff für manche Industriezweige.

Die Aurora-Studie berücksichtige nur die Energiegewinnung, kritisiert der Energie- und Verfahrenstechniker Manfred Fischedick, Chef des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Beziehe man auch die Veredelungsprodukte mit ein, „käme auch die alternative Untersuchung zu dem Ergebnis, dass es knapp werden kann, wenn man ohne die Braunkohle unter Lützerath auskommen muss“, meint er. Die Klimabilanz des Deals ganz genau zu beziffern, findet er schwer – auch weil die Wirkung der kürzlichen EU-Reform zum Emissionshandel noch nicht ganz abschätzbar sei. Insgesamt geht Fischedick aber doch von einem „klaren emissionsmindernden Effekt“ aus.