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Hartmut El Kurdi Der surrende Satan auf Rädern

Ich habe aus guten Gründen keinen Führerschein. Ich gehe zu Fuß, benutze den ÖPNV und ich fahre Fahrrad. Das Fahrrad ist unzweifelhaft die größte Erfindung seit dem Regenschirm! Es mag unspektakulär klingen, aber mal ehrlich: Es schüttet wie aus Eimern, und man kann, ohne sich die Frisur zu ruinieren, von A nach B gehen? Hammer! Das ist kurz vor Zauberei.

Ähnlich para-metaphysisch wie Regenschirme sind Geschirrspülmaschinen: Sie eröffnen die Möglichkeit, mit anderen Menschen zusammenzuleben, sich aber nicht mit ihnen wegen vertrockneter Milchreiskrusten oder Schimmelplantagen auf dem Porzellan schlagen oder sie gar töten zu müssen. Was für ein Zivilisationssprung!

Und ebenso magisch und fortschrittlich ist das Rad. Man braucht kein Benzin, keinen Dampf, keine Sklaven, die es ziehen oder schieben, man kann sich nur mit der eigenen Muskelkraft drei- oder viermal schneller bewegen als man gehen kann. Und man belastet – außer bei der Herstellung – die Umwelt nicht. Zudem kann man mit dem Rad das Herz-Kreislaufsystem in Schuss bringen und abspecken, ohne Zeit mit Sport zu vertrödeln und sich dabei zu Tode zu langweilen. Man sportelt, wie man in Österreich sagt, nebenbei, während man sich beeilt, um einen Termin einzuhalten. Wäre da nur nicht diese vermeintliche Weiterentwicklung.

Sicher, es gibt Menschen, für die ist das E-Bike – sei es aufgrund des Alters, einer Krankheit oder einer Behinderung – ein Mobilitätssegen. Auch für Pendler, die tapfer jeden Tag 60 Minuten radeln, um zur Arbeit zu kommen. All diesen Menschen gönne ich das Akku-Rad. Aber der Rest gehört in die Hölle.

Viele E-Biker benehmen sich auf Radwegen wie BMW-Fahrer auf Autobahnen. Man rollt vielleicht gerade mit einer gewissen somnambulen Verträumtheit leicht mittig daher, da hört man eine aggressive Klingel. Man dreht sich kurz um, sieht in zehn Metern Entfernung einen nicht schwitzenden, sich nicht anstrengenden Menschen um die fünfzig, dezent übergewichtig wie man selbst, auf einem normal aussehenden Fahrrad – und man denkt: Okay, der fährt vielleicht 15 km/h. Keinen Ahnung, warum der klingelt. Aber wenn er jetzt ein bisschen in die Pedale tritt, wird er einen demnächst überholen, vermutlich indem er einen kleinen Bogen um einen herum fährt …

Doch da wird man auch schon – mitten im Gedanken – surrend touchiert, weil der Raser keinen Zentimeter von seiner geraden Linie abweicht, schließlich hat er ja geklingelt, man spürt den Fahrtwind des vorbeizischenden E-Bikers noch auf der Wange, das eigene Rad taumelt wie ein angeschossenes Reh und man kippt seitlich auf den Gehweg und schabt mit dem Gesicht auf dem Asphalt entlang …

Langsam rappelt man sich auf, sortiert die Knochen und denkt: Ja, auch das E-Bike ist Magie. Aber keine weiße. Es ist klassischer Schadenszauber. Maleficum. Es ist der Teufel.

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