wortwechsel: Von Pazifismus und Klassenkampf
Harte Zeiten für die Friedensbewegung im russisch-ukrainischen Krieg. Ist der Wunsch nach einem Böllerverbot an Silvester Ausdruck moralischer Überlegenheit der Linken?
Kernfusion
„Wann kommt das Fusionskraftwerk, Herr Zohm? “,
wochentaz vom 17.–23. 12. 22
Wie der Interviewpartner zum Schluss selbst sagt, ist der wesentliche Unterschied zu Kernspaltung, dass (zumindest theoretisch) die beteiligten radioaktiven Elemente und Nebenprodukte nur Jahrzehnte, nicht Jahrtausende strahlen: Ansonsten braucht man auch für Kernfusion nur endlich vorhandenen Brennstoff und sehr viel aufwändigere Kraftwerke! Wozu also der Aufwand, wo wir unseren Energiebedarf doch längst mit erprobten erneuerbaren Quellen decken können? Wenn wir die Expertise und das Geld, das für die Fusionsforschung verheizt wurde und wird, in die Erzeugung aus Sonne Wind etc. gesteckt hätten, wären wir der Klimaneutralität schon viel näher und könnten die Fusion der Sonne und anderen Gestirnen überlassen, die sie ohnehin schon durchführen und uns damit mit Energie frei Haus versorgen!
Werner Behrendt, Oldendorf
Militaristen im Vorteil
„Pazifisten haben es derzeit schwer …“,
wochentaz vom 24.–30. 12. 22
Wir verteidigten 20 Jahre Demokratie und Freiheit am Hindukusch. Warum haben es derzeit Militaristen so einfach? Weil Selbsterhalt wichtiger als Arterhalt ist. Pazifisten könnten sich fragen: Was bedroht den Arterhalt? Antworten findet man unter anderem im EU-Klimafolgenbericht, beim Bericht über das Artensterben oder bei Virologen zu Pandemie-Risiken. Geschichte wird im Glanz menschlicher Aktivität erzählt; so als ob eine sinkende Leistungsfähigkeit vom planetarischen Lebensraum keine Wirkung hat. Warum haben es Pazifisten wieder schwer? Sie fühlen und solidarisieren sich mit der Art und überbrücken individuelle Unterschiede. Ein tragfähiges gesellschaftliches Fundament ist Liebe; nicht individuelle Freiheit oder Gier. Das parlamentarische Fazit „ein höherer Preis für Kohlenstoffemissionen wäre sinnvoll, schadet aber der monetären Wettbewerbsfähigkeit“ offenbart die Vorherrschaft eines ökonomischen Weltbildes.
Matthias Losert, Waiblingen
Friedensbewegung
„Pazifisten haben es derzeit schwer …“,
wochentaz vom 24.–30. 12. 22
Gereon Asmuth ist Recht zu geben, dass wir auch in Zukunft eine starke Friedensbewegung brauchen, die zum Beispiel Deserteure von jeder Seite unterstützt. Mein Bedauern gegenüber den derzeitigen Gruppen, die sich zur Friedensbewegung zählen, hält sich allerdings in sehr engen Grenzen. Wenige Tage vor dem russischen Überfall auf die Ukraine am 23. Februar 2022 fand ich in meinem Briefkasten einen Flyer der „Friedenskoordination Berlin“ mit dem Titel „Stoppt den Krieg der Ukraine gegen den Donbass! Stoppt die Aggressionspolitik gegen Russland“. Von dieser offensichtlichen, vorsichtig formuliert, dramatischen Fehleinschätzung hat sich die „Friedenskoordination Berlin“ nicht distanziert. Auf ihrer Internetseite hätte die Organisation Gelegenheit dazu. Die „Friedenskoordination Berlin“ sieht die Ukraine als Aggressor und Russland als Opfer. Solche „Friedensfreunde“ schaden der pazifistischen Bewegung und sind zu Recht auf dem Weg in die politische Bedeutungslosigkeit.
Jürgen Karwelat, Berlin
Krieg
„Pazifisten, die Waffen fordern“,
wochentaz auf taz.de vom 24. 12. 22
Krieg ist die absolute Barbarei gegen die Menschlichkeit. Es muss immer unser oberstes Ziel sein, Kriege zu verhindern oder zu beenden. Besser Ersteres als Zweites. Daher war Pazifismus wichtig, ist wichtig und wird es immer sein. Sein Ziel ist es, den Krieg zu verhindern. Ist ein Krieg ausgebrochen, hat er (in diesem Fall) versagt. Dann gilt es, den Frieden wieder herzustellen. Und so makaber es klingt, Kriege werden nun mal auch dadurch beendet, dass eine Partei gewinnt.
Jürgen Meyer auf taz.de
Jahrestag
„Einseitige Opfermythen“,
wochentaz vom 24.–30.12. 22
Als „Nakba“, deutsch Katastrophe oder Unglück, wird im arabischen Sprachgebrauch die Flucht und Vertreibung von etwa 700.000 arabischen Palästinensern aus dem früheren britischen Mandatsgebiet Palästina bezeichnet.“ Quelle: Wikipedia. 2023 wird des 75. Jahrestags der Staatsgründung Israels ebenso gedacht werden wie der 75-jährig andauernden Vertreibung der PalästinenserInnen – eben der Nakba. Auch und gerade in Deutschland muss anlässlich dieses Jahrestags der Vertreibung der PalästinenserInnen auch der Erinnerung daran ein angemessener Raum gegeben werden.
Ursula Mindermann, Telgte
Böllerverbote
„Je suis Problemklientel“,
wochentaz vom 31. 12. 22–6. 1. 23
Mit einer Aussage hat der Autor zweifellos recht: Solidarität ist besser als Verbote. Gut, dass die „Abgehängten“ so solidarisch sind mit denen, die die Feuerwerkskörper herstellen und die sonst arbeitslos wären! Hut ab auch vor ihrer Solidarität mit den Ordnungs- und Sicherheitskräften, die vielleicht Angst um ihre Jobs haben müssten, wenn es weniger Randale, weniger Alkohol- oder Drogenkomatöse und weniger Verletzte gäbe! Und meine Hochachtung vor allem vor der unerschütterlichen Solidarität mit der immer stärker marginalisierten, vielfach sogar verspotteten und von der cancel culture bedrängten Schar derer, die sich der Erzählung von der Klimakatstrophe verweigern, die wissen, dass die Natur nicht bedroht ist, solange der Mensch sie sich untertan macht – und sei es mit Schießpulver!
Thomas Straetling-Hövels, Holzwickede
Klassenkampf?
„Je suis Problemklientel“,
wochentaz vom 31. 12. 22–6. 1. 23
Ich gehöre zu „denen“, die Petitionen und offene Briefe unterschrieben haben, die ein Böllerverbot fordern. Und ich finde mich nicht wieder in der Behauptung, die der Autor aufstellt, wonach ich eine moralisch überlegene liberale Linke sein und auf irgendeiner „richtigen Seite“ stehen soll. Ich sehe mich auch nicht als Teil eines Klassenkampfes und auch nicht als jemand, die kriminalisieren will. Sie verknüpfen dies ganz selbstverständlich, als ob es ein Naturgesetz ist, und dem widerspreche ich entschieden. Ja, Verbote sind sehr wichtig in einer Gesellschaft, die einigermaßen friedlich zusammenleben soll. Sie reduzieren durch Ihren Ansatz, dass Böllerei erlaubt sein muss, damit der Teil der Gesellschaft, der kein Geld hat, wenigstens einmal im Jahr die Tatsache, kein Geld zu haben, vergessen könne, die Menschen auf eine einzige Eigenschaft – nämlich ihre Armut.
Anke Hofmann, Sasbach
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