Professor Brunnbauer über das Kosovo: „Das passiert regelmäßig“
Immer wieder kocht der Konflikt in Kosovos Norden hoch. Laut Ulf Brunnbauer setzte die EU auf Stabilität durch Vučić – hat sich aber geirrt.
taz: Herr Brunnbauer, könnte der Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo eskalieren?
Ulf Brunnbauer: Diese Gefahr sehe ich durchaus. Im Norden des Kosovo gibt es genügend Hitzköpfe und so könnte eine lokale Dynamik entstehen. Vergessen wir nicht: Der Grad der Bewaffnung dort ist hoch, Korruption weit verbreitet. Rechtsstaatlich haben wir es mit einem schwarzen Loch zu tun.
ist Professor für die Geschichte Südost- und Osteuropas an der Universität Regensburg und wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung.
Welche Ursachen hat dieser Konflikt?
Serbien weigert sich, die Unabhängigkeit und Souveränität des Kosovo anzuerkennen. Deshalb ist der Streit um Nummernschilder kein banales Symbol, sondern von politischer Bedeutung. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić will unbedingt das Eingeständnis vermeiden, dass das Kosovo ein souveräner Staat ist.
Warum bricht der Konflikt gerade jetzt wieder aus?
Das passiert in regelmäßigen Abständen immer wieder. Vor allem die radikalen Serben sehen die kosovarische Regierung von Albin Kurti als sehr nationalistisch und antiserbisch an, dabei ist sie eher pragmatisch. Das ist eine typische Fehlwahrnehmung der Serben, die sich als permanent verfolgte Opfer sehen. Wir haben jedoch keine Hinweise auf eine systematische Diskriminierung. Vučić hält diesen Konflikt am Köcheln. An einer nachhaltigen Normalisierung der bilateralen Beziehungen hat er kein Interesse.
Kosovos Präsidentin Vjosa Osmani hat die für Dezember geplante Kommunalwahl auf kommenden April verschoben. Könnte das die Spannungen entschärfen?
Vielleicht. Meiner Meinung nach wäre die Wahl zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht durchführbar gewesen. Hätte sie stattgefunden, wären wohl nur wenige Serben zur Abstimmung gegangen und in einigen mehrheitlich von Serben bewohnten Regionen hätte es albanische Bürgermeister gegeben.
Aber die Blockaden sind immer noch da. Jetzt will Vučić bei der Nato um Erlaubnis bitten, 1.000 serbische Sicherheitskräfte ins Kosovo zu schicken …
Dem würde die Nato nicht zustimmen. Noch einmal: Es gibt dafür keine Notwendigkeit.
Die EU verhandelt seit zehn Jahren mit Serbien über einen Beitritt. Was läuft da schief?
Brüssel hat auf Vučić gesetzt und damit einer vermeintlichen Stabilität Vorrang eingeräumt. Damit verbunden war die Hoffnung, die Möglichkeit eines Beitritts würde eine bessere Regierungsführung befördern und Vučić könne auch bei den noch nationalistischeren Kreisen Kompromisse in Bezug auf das Kosovo durchzusetzen. Das war ein Irrtum. Nehmen wir zum Beispiel Montenegro. Belgrad betrachtet das Land als serbischen Staat und tut alles, um Montenegros eigenständige Identität zu unterminieren. Dahinter steht das Konzept einer serbischen Welt, wonach am besten alle Serben in einem Staat leben sollten. Dieser retrograde Nationalismus zeigt sich auch daran, dass in Serbien die eigenen Kriegsverbrechen kaum erinnert werden.
Was sind die Ursachen für diese Fehleinschätzungen beziehungsweise wie ist diese Politik zu erklären?
Ein Problem ist, dass die EU nicht mit einer Stimme spricht. Es ist ja kein Zufall, dass gerade Ungarn eine exponierte Balkanpolitik betreibt und die Ethnonationalisten fördert. Die Serbien-Berichte des ungarischen EU-Kommissars Olivér Várhely, der für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik zuständig ist, fallen immer sehr positiv aus.
Wie sollte die EU diesen Irrtum korrigieren?
Sie muss Serbien klarmachen, dass ein EU-Beitritt nur um den Preis einer faktischen Anerkennung der Existenz des Kosovo zu haben ist. Brüssel darf die Schaukelpolitik Serbiens nicht länger tolerieren, denn diese verstößt massiv gegen die Interessen der EU. Und die EU sollte nicht immer wieder Länder, die sich wie Nordmazedonien um Reformen bemühen, vor den Kopf stoßen und deren Beitrittsprozess beschleunigen. Die EU hat ihre Südosteuropapolitik lange vernachlässigt. Da sind viele Jahre verloren gegangen. Doch jetzt scheint dieses Politikfeld immerhin stärker in den Fokus gerückt zu sein.
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