Ausgehen und rumstehen von Robert Mießner
: Weihnachtskonzert im Ballhaus Ost, Vertep im Acud

Das Ballhaus Berlin beherbergt Tischtelefone, eine Tanzfläche und einen Säulengang, zu dem es über eine Wendeltreppe geht. Hoffentlich fest an die Decke montiert ist der ausladende Kronleuchter, der mit einer Diskokugel jüngerer Bauart über das in Rot getauchte Zwanzigerjahre-Ambiente wacht. Als das Ballhaus unter dem Namen „Zum Alten Banden“ eröffnet wurde, regierte hier noch ein Kaiser. Eine schwarz-weiße DDR-Postkarte von 1968 zeigt das Gebäude als „Behrens Casino“. Seinen jetzigen Namen trägt es seit Mitte der 1970er Jahre.

Am Mittwochabend vor Weihnachten bot das Ballhaus dem Prenzlauer-Berg-Trio Herbst in Peking die Bühne. Sänger Rex Joswig, Gitarrist Torsten Füchsel und Elektroniker Helmar Kreysig haben eine Tradition aufgegriffen, die so in den 1990ern an der Volksbühne begründet wurde, das Weihnachtskonzert mit schrägdrehender Rockmusik, damals mit The Fall. Das Jahrzehnt war nicht durchgehend gutgelaunt. Herbst in Peking assoziieren einen der besseren Hits der Achtzigerjahre, „Panic“ von The Smiths, entstanden zur Zeit der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl. „Panik im Osten/Panik auf dem Meer /Panik im Westen/Panik im Heer“ heißt es bei Herbst in Peking und in ihrer „Kurzen Geschichte der Panik“. Der robuste Elektrosong ist 2021 vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine entstanden, er trifft jetzt noch einmal mehr: „Panik als Desaster / Panik als Illusion/Panik als Unterhaltung/Panik als Religion“ singt Joswig wenige Strophen später im Konzert. Die Doppeldeutigkeit seines Titels „Der letzte Schrei“ erschließt sich spätestens da. Aber, Herbst in Peking haben mit „Für immer und Dich“ eines der Liebeslieder Rio Reisers und eben nicht das „Macht kaputt, was Euch kaputt macht“ von Ton Steine Scherben ins Programm aufgenommen. Ein nachdenklicher Abend wie sein Nachhauseweg. Die Chausseestraße, fällt mir ein, ist die eigentliche Protokollstrecke Ost-Berlins. Das Ballhaus Berlin liegt zwischen der BND-Zentrale und dem Brecht-Haus rechts neben dem Dorotheenstädtischen Friedhof mit den Gräbern von Anna Seghers und Heiner Müller.

Wer weiter in Richtung Bahnhof Friedrichstraße läuft, sieht an der Kreuzung Hannoversche Straße das ehemalige Wohnhaus von Wolf Biermann. Wer zurück in Richtung Prenzlauer Berg läuft, passiert zur linken Hand auf der Invalidenstraße den Nordbahnhof mit den historischen Gleisen der Stettiner Bahn und kurz darauf den II. Sophien-Friedhof mit dem Grab Max Stirners.

Hinter der Kreuzung zur Brunnenstraße wird aus der Invaliden- die Veteranenstraße, und dort steht gegenüber vom Weinbergspark das Kunsthaus Acud. Es ist mit dem Schokoladen in der Ackerstraße eine der letzten aus der Aufbruchszeit der frühen Neunzigern verbliebenen Orte in Berlin-Mitte. Bis 2008 befand sich hier die Heimat der „Balkan Black Box“, eines so in Deutschland einzigartigen Festivals für Film, Musik, Ausstellungen, Literatur und Theater aus Südosteuropa. Und es passt schon, dass ausgerechnet hier am Donnerstagabend mit dem „Ukrainian Sound Garden“ der Verein Vitsche e.V. einen ukrainischen Weihnachtsmarkt mit Konzerten und einer von dem Schauspieler und Regisseur Les Kurbas inspirierten Performance ausrichtet. Es handelt sich dabei um ein Vertep, eine modern arrangierte Version der ukrainischen Weihnachtskrippe. Kurbas hat das Jahr 1937 inder Sowjetunion nicht überlebt. Die Aufführung im Acud unter der Regie von Eva Jakubowska findet im Wandelgang über dem Innenhof statt. Das Publikum stimmt in die Lieder ein.